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Donnerstag, 6. September 2012

Karmische Konstellation zwischen Ita Wegman, Marie Steiner und Daniel N. Dunlop Teil 2





Die Fortsetzung von

"Karmische Konstellation zwischen Ita Wegman,  Marie Steiner und D. Dunlop Teil 1"
http://philosophie-der-freiheit.blogspot.ch/2012/09/karmische-konstellation-zwischen-ita.html




Nun möchte ich den im Teil 1 genannten Brief von Wegman an dem jungen Österreicher Walter J. Stein, der in England lebte (der Brief ist im Band 2, Wer war Ita Wegman, E. Zeylmans abgedruckt ), wörtlich wiedergeben. Der Inhalt dieses Briefes ist sehr tiefgehend. Trotz der ruhigen Art der Beschreibung merkt man, wie sehr Wegman von dem Veröffentlichungsplan von der Dunlop-Gruppe enttäuscht war. Keine polemische Kritik ist in ihrem Brief zu finden. Aber in aller Klarheit nahm sie die Distanz von der englischen Gruppe um Dunlop. 

Sie beschreibt im Brief, dass es ihr nach dem Jahreswechsel 1934/35 klar wurde, dass in der Gruppe von Dunlop die geistige Idee der Weihnachtstagung nicht angekommen sei. Es ist offensichtlich, dass Wegman trotzdem weiterhin D. Dunlop und die anderen englischen Freunde schätzte, so wie sie trotz der schweren Anschuldigung weiterhin Marie Steiner schätzte. Aber es war für Wegman eindeutig, dass der Impuls von Rudolf Steiner nach der Weihnachtstagung auch nicht bei der Gruppe um Dunlop verwurzeln konnte. (Dunlop nahm an der Weihnachtstagung 1923/24 nicht teil, was Steiner stark enttäuschte. ) Aus dem Brief werden keine Deteils ersichtlich, was in der Generalversammlung in England neu befestigt werden sollte. Aber der Veröffentlichungsplan des Briefes Steiners an Wegman war für diese neue aufkommende Tendenz in England charakteristisch. 







Der Brief Wegmans wird unten zitiert (die Bemerkung im Klammer und die Bearbeitung mit Fett durch J. A.)


"Lieber Dr. Stein!
Arlesheim, den 9. Januar 1935

Den folgenden Tag nach Ihrer Abreise, aber schon während der Nacht, wusste ich ganz genau, dass ich noch zu warten habe mit einem Gehen nach England. In mir lebt so etwas ganz anderes, als was mir entgegengebracht wurde, dass ich mich nicht entschliessen kann, so weiter zu arbeiten, als ob nichts gewesen wäre, als ob ich nur eine kleine Ferienreise (sie hatte nach der Genesung ihrer Krankheit eine ausgedehnte Reise nach Palästina und Rom unternommen. Steiner wollte mit ihr zusammen diese Stätte besuchen.) hinter mir gehabt hätte. Es war mir vergönnt, einen Blick in die geistige Welt zu werfen, bin dem Christus und Rudolf Steiner begegnet, die mich zur Erde zurückschickten und von mir erwarten, dass ich etwas tue, anders als bis jetzt. Die Enttäuschung war doch gross, als ich aus Dunlops Rede entnahm, dass die Bewegung in England doch ein äusseres Gepräge annehmen sollte, ohne Unterschied der seelischen Qualitäten der verschiedenen Menschen. Damit ist dann auch wirklich die Weihnachtstagung endgültig aus der Welt geschafft. Es ist doch wirklich der karmische Zusammenhang zwischen Rudolf Steiner und mir ein wesentlicher Bestandteil der Weihnachtstagung. Das wissen viele Menschen im Goetheanum sehr gut, deshalb auch der Hass gegen mich, der konsequent durchgeführt wird. So lange wird der Hass bleiben, bis es gelungen sein wird, die Weihnachtstagung aus der Erinnerung der Mitglieder auszuwischen, damit eine Geschichtsfälschung vorgenommen werden könnte, um die Menschen nicht zum Karmaerleben zu bringen. Es wäre ungeheuer wertvoll gewesen, hätte England dies eingesehen und sich vorgenommen, auf keinen Fall die Weihnachtstagung zu vergessen, die, weil sie in der Totalität nicht durchgeführt sein kann, doch so fortwirken kann, dass jedes einzelne Mitglied des Vorstandes ernst genommen wird je nach seinem Karma mit dem Doktor oder mit der Gesellschaft oder mit anderen sonstigen karmischen Verbindungen. 

Wofür die Freunde zusammenkamen, das war doch nicht eine ehrliche Zusammenarbeit, sondern ein Versuch, wichtige Dokumente - Sie wissen, was ich meine -, von mir zu bekommen. Ich sehe darin nicht viel Gutes, möchte das auch nicht mitmachen. Deshalb habe ich Mr. Dunlop telegraphiert, nicht auf mein Kommen zur Generalversammlung zu rechnen.  Es wird sich schon zeigen, was kommen will. Das, was ich zu tun habe, ist doch, diejenigen Menschen um mich zu sammeln, die diese Verbindungen mit der Weihnachtstagung noch in der richtigen wahren Art in sich tragen. Es möge die Zahl der Ärzte klein sein, aber ich fühle auch, dass wenn dies nicht geschieht, etwas geistig Wertvolles zugrunde gehen wird, eine geistige Strömung, die ich zu hüten habe und die ich rein hinübertragen will.  Es ist sehr gut möglich, dass meine Arbeit in England durch die Umgruppierung der Menschen an der Generalversammlung, die so ein festes Gepräge angenommen hat, in England vorläufig zum Abschluss gekommen ist und dass die karmische Richtung irgendwo anders Fuss fassen will oder neu aufleben wird. Dieses ist von mir mit Liebe gesagt und mit Verständnis für den Entwicklungsgang von England. Was ich Sie bitten möchte, ist folgendes: ein wachsames Auge für Kent Terrace zu haben, damit dies nicht ganz aus meinen Händen fällt, denn dann ist die Türe für England für mich geschlossen. Das wäre ja dann doch für vieles schade. Hoffentlich verstehen Sie mich und bleiben Sie mir treu, ich meine meinem Wesen.

Wir haben alle die schönsten Erinnerungen an Sie und Ihr menschliches Auftreten.
Herzlichen Grüsse und vielen Dank, dass Sie gekommen sind. 
In treuer Verbundenheit 
Ihre Ita Wegman
P.S. Viele herzliche Grüsse an Ihre Frau und Clarissa Johanna. "





Teil 3 folgt



Junko Althaus




















Mittwoch, 5. September 2012

Karmische Konstellation zwischen Ita Wegman, Marie Steiner und Daniel N. Dunlop Teil 1





Der Grund, wieso Ita Wegman nach dem Ausschluss 1935 einsam blieb -, ist  relativ unbekannt. Ihr wurde die Aufgabe als Vorstandsmitglied genommen und die medizinische Sektion, die sie leiten sollte, hatte keine Verbindung zum Goetheanum mehr. Der zweite Weltkrieg trennte sie von Deutschland und Frankreich, wo sie wichtige Standorte für die Arbeit aufgebaut hatte. Sie wurde durch den Krieg in der Schweiz eingesperrt. Aber es gibt noch einen anderen wesentlichen Grund für ihre Einsamkeit.



Vor dem Massen-Ausschluss 1935 plante sie ihren Hauptwirkensort nach England zu verlegen. Aber das ist nicht zustande gekommen. Nicht wegen des Krieges, sondern weil sie diese Planung selber wieder verworfen hatte. Da hat ein sehr schwerwiegendes aber noch allgemein unbekanntes Drama stattfgefunden, das dem Massen-Ausschluss 1935 vorausgegangen war.



E. Zeylmans schreibt in seinem Buch "Wer war Ita Wegman Band 2", dass sie allein 1933 achtmal (!) in England gewesen ist. Sie hatte eine Hoffnung auf Initiativen in England gesetzt, weil der Konflikt in Dornach immer schlimmer wurde. Sie erkrankte aber 1934 und musste sich mehrere Monaten von der Arbeit zurückziehen. Dabei hatte sie eine Begegnung mit dem ätherischen Christus und Rudolf Steiner. Nach der physischen Genesung hat sie sich eine ausgedehnte Reise nach Palästina und Rom gegönnt, um die schweren Erlebnisse des Konfliktes zu verarbeiten. Sie veranstaltete 1934/35 Weihnachten in Arlesheim eine Weihnachtsfeier. Und die Engländer besuchten diese Veranstaltung, um mit ihr wieder über die Konkretisierung der Pläne in England zu besprechen. Dabei erkannte Ita Wegman aber eine Intention der englischen Gruppe, welche bis dahin für sie nicht offensichtlich war.



E. Zeylmans schreibt im oben genannten Buch (die Bemerkungen im Klammer durch J. A.) : "Aus diesem Schreiben ( einem Brief von Wegman an Walter J. Stein  am 9. Janur 1935) kann man schliessen, dass Dunlop (Daniel Dunlop, die leitende Figur der damaligen englischen Gruppe) in England die Errichtung eines anthroposophischen Zentrums als Antipode zu Dornach vor Augen stand. Einige Getreue kannten inzwischen offensichtlich spätestens seit einer Zusammenkunft in Bangor, Wals, im Sommer 1933) den Brief Rudolf Steiners an Wegman vom 11. Juni 1924 (dieser handschriftliche Brief von Steiner gilt als materieller Beweis für die gemeinsamen Inkarnation Steiners und Wegmans als Aristoteles und Alexander der Grosse und wurde erst durch E. Zelymans in seinem Buch "Wer war Ita Wegman Band 1" veröffentlicht ) und sahen aufgrund solcher ›Dokumente‹, die sie veröffentlichen wollten, Ita Wegman an der Spitze ihrer Bestrebungen. Auch Elisabeth Vreede hatte die Vorstellung, mit der Publikation dieser Texte in die Gesellschaftskrise heilsam eingreifen zu können. Wegmans Brief an Stein zeigt, dass sie nicht bereit war, auf dieses Vorhaben einzugehen. Ihr ging es darum, dass jedes einzelne Mitglied des Dornacher Vorstandes ernst genommen werde, je nach seinem Schicksalsband mit Rudolf Steiner oder mit der Anthroposophischen Gesellschaft..."

(Der Brief von Wegman, der hier gemeint ist, wird im weiteren Artikel Teil 2 wörtlich vorgestellt. )




Ita Wegman lehnte in einer Eindeutigkeit ein solches Vorhaben ab, als sie von diesem Veröffentlichungsplan erfuhr. Daraufhin liess sie alle ihre Termine für England, die schon feststanden, fallen. Sie blieb ruhig, hat aber den englischen Freunden unverwechselbar deutlich gemacht, dass mindestens für die nächste Zeit keine Zusammenarbeit mehr mit ihnen denkbar sei. 



Was wäre geschehen, wenn sie auf die Veröffentlichung des Briefes eingegangen wäre? Der Massen-Zwangs-Ausschluss 1935 hätte sicherlich nicht auf diese Art und Weise stattfinden können. Es wäre ein riesiges Chaos entstanden wegen des äusserst intim-persönlichen Charakters im Brief. Aber man hätte Wegman "aufgrund des materiellen Beweises" nicht so leicht zurückdrängen können. Aber was hätte sie dadurch zuletzt erreicht? Sie hätte die irdische Macht erlangt durch einen materiellen Beweis. Und sie hätte sich aufgrund eines solchen Beweises über alle anderen Menschen gestellt. Und die anderen Menschen, die zur Gruppe der Engländer gehörten, hätten um und mit Wegman die Macht erlangt. Aber stimmt eine solche Vorgehensweise mit dem modernen Christusimpuls überein? Man hätte Marie Steiner zutiefst  - in der Öffentlichkeit - verletzt. Die zarte private und geistige Verbindung zwischen Steiner und Wegman, die durch mehrere Jahrtausende gelebt  wurde, wäre ganz öffentlich und schutzlos zur Schau gestellt worden. Ein Fliegenschwarm unkontrollierter Skandal- und Neugierden-Sucht der Menschen hätte sich um den Brief gebildet. Mit der Veröffentlichung eines solchen Briefes, der damals kaum jemand ohne eine gewisse Vorbereitung richtig verstehen konnte, hätte man Rudolf Steiner und Marie Steiner schwer verletzen und entehren können. Das hätte der ganzen Bewegung geschadet.




Den genannten Brief Steiners an Wegman zu jenem Zeitpunkt zu veröffentlichen war eine grosse Versuchung für Ita Weman, in der sie aber voll und ganz standhaft blieb. Wenn sie darauf eingegangen wäre, hätte sie wirklich Marie Steiner und Rudolf Steiner verraten. Aber sie tat es nicht. Es ist schade, dass Marie Steiner es nicht merken konnte. Die Machtgelüste, die vor allem Marie Steiner und ihr Gefolge Ita Wegman vorwarf, stimmte nicht. Wegman war diejenige, welche die wohl sicherste Methode ihrer eigenen Macht-Erlangung - durch die Veröffentlichung des Briefes - ganz und gar ablehnte. Marie Steiner hat so viel in den Konflikten gelitten, weil sie meinte, Ita Wegman will die alleinige Macht. Aber das war nicht die Wahrheit. Das ist eine grosse Tragik der anthroposophischen Bewegung. 


Die Beschuldigungen der Seite von Marie Steiner und ihrem Gefolge gegen Ita Wegman, Wegman erstrebe die alleine Machtstellung in der Gesellschaft, war nicht ganz vollständig unbegründet, weil die englischen und einige andere Mitglieder, die zur Gruppe von Daniel Dunlop gehörten, den Plan durchführen wollten, eine Stabilisierung ihrer (Macht)-Stellung durch die Verbindung mit Wegman in der Gesellschaft zu erlangen. Sie glaubten an die Berechtigung an eine solche Veröffentlichung. Ihnen war es sicherlich nicht bewusst, wie sehr eine solche Tat Maire Steiner und Rudolf Steiner zutiefst verletzt und entehrt hätte. Für sie bedeutete es ein zu grosses Hindernis, dass Marie Steiner und die anderen Vorstandsmitglieder und ihr Gefolge von Dornach aus streng zentralistisch und hierarchisch führen wollten. Die frische und offene Initiative von den Engländern erntete damals immer nur die grösste Empörung in der Dornacher Gruppe, so dass sie zuletzt notgedrungen einen solchen Plan der Veröffentlichung durchführen wollten. Aber es wurde verhindert, weil Wegman es nicht zuliess. Marie Steiner und Rudolf Steiner verdankt dies der geistig-moralischen Wachheit von Wegman. 



Allerdings denke ich, dass Wegman dieses Vorhaben der englischen Freunde lange nicht richtig durchblicken konnte. Sie machte lange mit der Vorbereitung aller Pläne mit. Wenn Wegman früher eine solche Willensrichtung von ihnen klar bemerkt hätte und sich davon viel früher distanziert hätte, dann hätten die schweren Beschuldigungen an sie selber und die anderen vielen Menschen, die 1935 ausgeschlossen wurden, vielleicht mindestens zum Teil vermieden werden können. Die Gruppierung von Marie Steiner hat eine potenzielle und nicht ungefährliche Tendenz bemerkt, die in der Umgebung Wegmans tatsächlich vorhanden war. Nun  war es tragisch, dass von Marie Steiner diese Tendenz in Wegman selber gesehen wurde. Es war nicht wahr. Und Wegman selber diese Tendenz um sich herum nicht rechtzeitig erkennen und stoppen konnte. Es hätte noch etwas früher sein können. Dies alles kann man erst heute mit dem zeitlichen Abstand deutlich sehen. Aber diejenigen, die tatsächlich damals darinnen standen, waren alle äusserst betroffen und hatten keinen Abstand zu der Sache. Sie hatten nur eine begrenzte Möglichkeit, die Sache zu sehen, weil bei jedem das Karma gewaltet hat. 




Nun hat aber die Sache einen solchen Verlauf genommen, den die Geschichte uns erzählt. Wegman widerstand aber der Versuchung. So hat sie das Schlimmste, was daraus hätte entstehen können - sich selber eine unbestreitbare hierarchische Macht durch einen solchen geistigen und materiellen Beweis zu verschaffen - vermieden. Sie hat auf die hierarchische Macht, die sie hätte erlangen können, bewusst verzichtet und stattdessen behielt sie die innere Freiheit und Unabhängigkeit, welche viel viel kostbarer ist als eine irdisch-hierarchische Macht in einer Institution. So wie Jesus Christus auf alle geistige und weltliche Macht verzichtete und ans Kreuz gehängt wurde, hat Wegman auf das Erlangen der äusseren Macht verzichtet, auch wenn sie dadurch äusserst ausgegrenzt werden musste. 

Sie hat tief gelitten und ihre potenzielle Macht für das äussere Wirken wurde weitgehend zerstört. Es war ein modernes Mysterium im Zeitalter der Bewusstseinsseele, an dem der Christus intensiv mitwirkt. Sie bestand die Prüfung in diesem Mysterium des Karma und Schicksals. Dadurch kam sie im wahren Sinne des Wortes näher an Christus. Sie hat einen geistig- seelischen Sieg errungen, so dass sie durch die Verzicht auf die irdische und institutionelle Macht eine andere innere Macht - bedingungslose innere Freiheit - gewonnen hat. Diese innere Freiheit ist die einzige wahre Quelle für die aktive und ichhafte Liebe in unserer Zeit. Diese innere Unabhängigkeit ist diejenige, die der Christus durch seinen freiwilligen und schmerzhaften Erdentod uns geschenkt hat. So hat Wegman das Neue Mysterium, welches sie mit Steiner begann, auf der Erde abgerundet. Sie blieb weiterhin mit Steiner karmisch in einer unveränderten und unverletzten Innigkeit verbunden. Ihre geistige und seelische Freundschaft durch die Jahrtausende konnte sie für die Zukunft der Menschheitsentwicklung vor dieser ernsthaften Gefährdung retten.




Teil 2 folgt


Junko Althaus
















 

Dienstag, 4. September 2012

Wie kann man die Weihnachtstagung 1923/24 erlösen? Teil1





Immer wieder wurde von Dornach aus die Meinung vertreten: Die Weihnachtstagung war der Höhepunkt der Anthroposophie. Das vermittelt kein komplett-wahres Bild über die damalige Lage, in der Rudolf Steiner sich tatsächlich befand. Die Weihnachtstagung war keine Erfüllung für Rudolf Steiner. Sie war eine Notlösung. Rudolf Steiner war äusserst belastet von den sozialen Zerwürfnissen innerhalb der Gesellschaft. Nach langer Überlegung traf er diese Entscheidung.


Vor allem die Tatsache, dass er selber das Amt des Vorsitzenden in der Gesellschaft übernahm, war ein beispielloses Wagnis. Ein geistiger Lehrer, der die spirituelle Kompetenz vertritt und zugleich das weltliche Führungsamt übernimmt, bedeutet ein absolutes Tabu. Niemand kannte so gut diese Regel als Steiner selber. Niemand nahm diese Regel so ernst wie Steiner. 


Wieso hat er dennoch diese Regel durch die Neubegründung gebrochen? Weil er eben damals keine andere Lösung fand. Entweder musste er sich mit einer ganz kleinen Menschengruppe zurückziehen, oder er musste selber den Vorsitz der Gesellschaft übernehmen, auch wenn es mit einer gefährlichen spirituellen Ungewissheit verbunden war. Er sagte, wenn ein Eingeweihter so etwas tut, und die Sache misslingt, dann muss er es mit dem Tod bezahlen. Steiner wollte nicht durch sein Zurückziehen die Menschen verlassen, die sich mit der Anthroposophie verbunden fühlten. Er wollte immer möglichst öffentlich sprechen, so dass das Spirituelle für möglichst viele Menschen zugänglich wird. Ausserdem konnte er sich damals noch nicht zurückziehen - aus einem anderen Grund -, weil er damals von der modernen Karmaerkenntnis - seinem eigentlichen Auftrag - noch nicht eingehend gesprochen hatte. Die Karmaerkenntnisse mussten den Menschen noch gegeben werden. Dafür ist er zur Erde gekommen. Aber für das Sprechen der Karmaerkenntnisse musste er einen bestimmten Zustand in der Gesellschaft herstellen, in dem er darüber sprechen konnte. Es war vor der Weihnachtstagung noch nicht möglich. Er wusste, dass er ein Gefäss braucht, welches diese Karmaerkenntnisse aufnehmen will und kann. Die Bildung des Gefässes konnte nach damaligen Verhältnissen für ihn nur durch seine Übernahme des Vorsitzes erreicht werden. Das war eine höchst gefährliche Angelegenheit. Steiner hat bewusst  - wohlbewusst - die spirituelle Regel gebrochen. Die geistige Welt hat dabei geschwiegen. Sie liess ihn frei. Er handelte ganz aus sich heraus. Als ein freier Mensch handelt er so. 


Während der Weihnachtstagung konnte er die Vorträge halten, in denen die früheren Inkarnationen von Steiner und Wegman ausführlich beschrieben wurden - natürlich ohne zu sagen, wer diese Individualitäten jetzt sind -. Eugen Kolisko und Walter Johannes Stein - beide junge Österreicher haben bemerkt, dass es bei den Indivdualitäten sich um Steiner und Wegman handelt. Sie kamen mutig an Wegman mit dieser karmischen Erkenntnis heran. Wegman trug statt ihnen die Frage der beiden an Steiner weiter. Die Frage lautete: Haben wir richtig erkannt: Es geht um Sie und Fr. Dr. Wegman? Steiner bestätigte es ihnen wieder über Wegman. 


Nach der Weihnachtstagung konnte Steiner anfangen, eingehend über die karmischen Zusammenhänge zu sprechen. Die wichtigen und zukünftigen Forschungsansätze strömten zu den Menschen weiter. Aber dann bereits einige Monate nach dem Beginn der Karmavorträge erkrankte Steiner, so dass er die Vorträge nicht mehr fortsetzen konnte. Zuletzt starb er ein paar Monate später. Nun gab die geistige Welt doch die Antwort: Es geht nicht so weiter. Man kann sagen: die Gegenkräfte waren stark. Das stimmt auch. Aber die Form, die Steiner der Gesellschaft gegeben hat, stimmte auch nicht für eine längere Zeit. Die Form der Neugründung hat ihm geholfen, um trotz der schwierigen Lage der Gesellschaft die Karmavorträge inkarnieren zu lassen. Die Karmavorträge wurden der Welt gegeben, die vor sienem Tod noch unbedingt herunter fliessen mussten. Aber dann wurde er plötzlich von der geistigen Welt zurückgerufen. Die neue Form der Gesellschaft, die damals geschaffen wurde, dass der geistig-spirituell kompetente Mensch den weltlichen Posten als Vorstand einer irdischen Gesellschaft inne hat, kann nicht weiter als das richtige Gefäss bestehen bleiben. Das führte ihn zu seinem Tod. Man kann den Tod auf unterschiedliche Art deuten. Alle Deutungen haben eine gewisse Berechtigung. Aber was ich hier nenne, ist ein wichtiger Hintergrund des Todes von Steiner. Er musste sterben, weil es nur teilweise und nicht komplett gelang. Aber es gab keinen besseren Ausweg für ihn. So wie er selber sagte, man muss es mit dem Tod bezahlen, wenn es nicht gelingt. 


Wer die obige Beschreibung in Ruhe durchliest, weiss, dass ich sie geschrieben habe, nicht um Steiner etwas vorzuwerfen. Ich schreibe sie, um zu zeigen, wie sehr er gelitten hat. Wie sehr er als ein Mensch, der zugleich ein Eingeweihter war, aber der auf der Erde wirken musste, und die Erdenverhältnisse mitberücksichtigen musste, gelitten hat. Ich möchte darstellen, aus welcher Not und aus welchem Leid heraus er diese Notlösung, selber den Vorsitz der irdischen Gesellschaft zu übernehmen, ergriffen hat. Die Gründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft 1923/24 in der Weihnachtstagung war keine Erfüllung, sondern eine schwere Notlösung. Die Form, die dabei geschaffen wurde, war auch eine Notangelegenheit. Und an dieser notgedrungenen Kompromiss-Form, die für Steiner keinerlei Ideal war, hält man bis heute in Dornach fest.  


Teil 2 folgt

Junko Althaus


Leiden Rudolf Steiners und die Parzivalfrage