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Sonntag, 11. April 2010

Leiden Rudolf Steiners und die Parzivalfrage





Ich fand im letzten Buch von bereits verstorbenen Herrn Zeylmans van Emmichoven "Die Erkraftung des Herzens" eine Stelle, die mich beschäftigt und zutiefst berührt.

Er beschreibt dort von einem intensiven Leiden von Steiner im Zusammenhang mit dem Thema "Karma". Steiner wollte bereits am Beginn seines Wirkens in der Theosophischen Gesellschaft die praktische Karmaübung mit den Mitgliedern besprechen. Aber ihm begegnete die grössten Widerstände. Also er musste über 21 Jahre lang auf eine Gelegenheit warten, bis er mit den Menschen intensiv diese für ihn existentiell wichtige Thematik arbeiten konnte. Aber er sah immer wieder die Realität, dass die Menschen nicht wirklich dafür bereit waren. Und er sprach von seiner grossen Enttäuschung davon, wie wenig die Impulse der Weihnachtstagung aufgenommen wurden.



Seite 242
"Im Jahre 1923 befand sich Rudolf Steiner in einer vergleichbaren Situation. Nachdem er wiederum etwa 21 Jahre lang in intensivster Weise geisteswissenschaftliche Grundlagen für ein reales Verständnis von Karma und Reinkarnation geschaffen und in Wort und Schrift die Anthroposophie entwickelt hatte, sagte er bei zwei intimen Zusammenkünften mit seinen nächsten Mitarbeitern im Mai und Oktober 1923: Ihr schlaft in eurem Denken, und auch im eurem Fühlen und Wollen! Ihr schlaft in eurem Ich!
In den vielen Schriften über Rudolf Steiner, die seit Jahrzehnten erscheinen, ist diese Tatsache nie wirklich erfasst worden: Dieser Mensch stand 1923 an einem Abgrund mit dem Erlebnis, das keiner erfassen konnte, worum es ihm ging. Und das hatte sich Ostern 1924 nicht geändert. Da heisst es am 22. April: Wenn nun ein Zeitalter heranrückt, welches wieder geistiger ist, so werden schon Menschen das entwickeln, was sie in der Dumpfheit noch nicht entwickelt haben."
(Farbliche Bearbeitung durch J.H.)

An den Aussagen von Steiner gegen seine engsten Mitarbeiter können wir nachempfinden, wie zornig und enttäuscht er war. Er betont in beiden Aussagen, dass er sie schlafend und dumpf erlebte (bemerkenswert ist es, dass er nicht nur im Denken, sondern im Fühlen und Wollen nennt. Also er meint es selbstverständlich nicht mit der gewöhnlichen Intellektualität). Ich denke, das kann die Menschen erschrecken, die es lesen. Man kennt Steiner selbstverständlich auch ganz anders. Ich kann nicht anders denken und fühlen als, dass er weit entfernt von seiner besten Gemütsverfassung war, die er sonst hätte haben können. Sonst hätte er sich nicht in dieser Art ausgedrückt. Hat er das nicht aus einer Verzweiflung und einer inneren Not heraus gesagt? Er schätzte doch seine Mitarbeiter alle so sehr. Er kannte besser als alle anderen ihre unterschiedlichen Begabungen und Fähigkeiten. Das ist zweifellos. Wenn ich daran denke, empfinde ich eine tiefe Trauer und frage mich wieder: Wie stark war er belastet? Und zwar eingentlich schon lange.


Zeylmans van Emmichoven nennt Steiner hier "dieser Mensch". "Dieser Mensch stand seit 1923 an einem Abgrund..." Er schreibt hier, dass dies keine Schrift erfasst hat. Ich kann etwas auf diese Weise fortsetzen. Ich kenne sonst keine Schrift über R. Steiner, in der er als ein "Mensch" angeredet wurde wie hier von Herrn Zeylmans van Emmichoven. Und ich spürte hier an der Stelle besonders intensiv seine Haltung, wie sehr er sich in den leidenden Rudolf Steiner menschlich hineingefühlt hat. Und das berührt mich tief.


Die Menschlichkeit von Herrn Zeylmans van Emmichoven, die hier zum Ausdruck kommt, erinnerte mich an eines: den Gral, die Parzivalfrage. Kommt uns hier nicht etwas sehr tief Vertrautes entgegen, was wir von Pazival kennen? Parsival, der durch viele schwere Prüfungen und Aufgaben hindurch ging, und dadurch eine echte Herzenskraft, die Erkenntniskraft des Grals entwickeln konnte. Als Parzival zunächst in der Gralsburg war, scheiterte er an der Prüfung, weil er nach dem angelernten Manierverhalten der Höflichkeiten keine Frage an leidenden König stellte. Er blieb von dem König innerlich distanziert. Aber nach seinen Wanderjahren tritt der verwandelte Parzival vor den unverändert leidenden König Anfortas und fragte ihn aus dem tiefsten Herzen: Was fehlt Euch, Oheim? Das war die Herzensfrage, die ihn zum Gralskönig und zum Hüter des Grals machte.

Ich bin überzeugt davon, gehen wir mit unseren authentischen Herzensfragen an die Person Rudolf Steiner und an sein letztes und wichtigstes Anliegen des Karmas heran, dann können wir viel mehr erschließen, was er wirklich mitteilen wollte und heute mitteilen will.

An dieser Stelle möchte ich gegenüber dieser echten Authentizität von Herrn Zeylmans van Emmichoven und seiner langjährigen aufopfernden Arbeit an den schweren Geschichten der Anthroposophie aus meinem vollen Herzen den tiefsten Respekt zum Ausdruck bringen.

Junko Hill








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