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Freitag, 2. April 2010

Kapitel IX Die Idee der Freiheit - 1 "Denken als Mythos" der Anthroposophie?

Kommentare zu „Der Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners

Die Wirklichkeit der Freiheit




Kapitel IX
 "DIE IDEE DER FREIHEIT"


„Der Begriff des Baumes ist für das Erkennen durch die Wahrnehmung des Baumes bedingt. Ich kann der bestimmten Wahrnehmung gegenüber nur einen ganz bestimmten Begriff aus dem allgemeinen Begriffssystem herausheben. Der Zusammenhang von Begriff und Wahrnehmung wird durch das Denken an der Wahrnehmung mittelbar und objektiv bestimmt. Die Verbindung der Wahrnehmung mit ihrem Begriffe wird nach dem Wahrnehmungsakte erkannt; die Zusammengehörigkeit ist aber in der Sache selbst bestimmt.

Anders stellt sich der Vorgang dar, wenn die Erkenntnis, wenn das in ihr auftretende Verhältnis des Menschen zur Welt betrachtet wird. In den vorangehenden Ausführungen ist der Versuch gemacht worden, zu zeigen, daß die Aufhellung dieses Verhältnisses durch eine auf dasselbe gehende unbefangene Beobachtung möglich ist. Ein richtiges Verständnis dieser Beobachtung kommt zu der Einsicht, daß das Denken als eine in sich beschlossene Wesenheit unmittelbar angeschaut werden kann. Wer nötig findet, zur Erklärung des Denkens als solchem etwas anderes herbeizuziehen, wie etwa physische Gehirnvorgänge, oder hinter dem beobachteten bewußten Denken liegende unbewußte geistige Vorgänge, der verkennt, was ihm die unbefangene Beobachtung des Denkens gibt. Wer das Denken beobachtet, lebt während der Beobachtung unmittelbar in einem geistigen, sich selbst tragenden Wesensweben darinnen. Ja, man kann sagen, wer die Wesenheit des Geistigen in der Gestalt, in der sie sich dem Menschen zunächst darbietet, erfassen will, kann dies in dem auf sich selbst beruhenden Denken.


Im Betrachten des Denkens selbst fallen in eines zusammen, was sonst immer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehmung. Wer dies nicht durchschaut, der wird in an Wahrnehmungen erarbeiteten Begriffen nur schattenhafte Nachbildungen dieser Wahrnehmungen sehen können, und die Wahrnehmungen werden ihm die wahre Wirklichkeit vergegenwärtigen. Er wird auch eine metaphysische Welt nach dem Muster der wahrgenommenen Welt sich auf-erbauen; er wird diese Welt Atomenwelt, Willenswelt, unbewußte Geistwelt und so weiter nennen, je nach seiner Vorstellungsart. Und es wird ihm entgehen, daß er sich mit alledem nur eine metaphysische Welt hypothetisch nach dem Muster seiner Wahrnehmungswelt auferbaut hat. Wer aber durchschaut, was bezüglich des Denkens vorliegt, der wird erkennen, daß in der Wahrnehmung nur ein Teil der Wirklichkeit vorliegt und daß der andere zu ihr gehörige Teil, der sie erst als volle Wirklichkeit erscheinen läßt, in der denkenden Durchsetzung der Wahrnehmung erlebt wird. Er wird in demjenigen, das als Denken im Bewußtsein auftritt, nicht ein schattenhaftes Nachbild einer Wirklichkeit sehen, sondern eine auf sich ruhende geistige Wesenhaftigkeit. Und von dieser kann er sagen, daß sie ihm durch Intuition im Bewußtsein gegenwärtig wird. Intuition ist das im rein Geistigen verlaufende bewußte Erleben eines rein geistigen Inhaltes. Nur durch eine Intuition kann die Wesenheit des Denkens erfaßt werden.“



Der Kommentar:

Steiner hat in der Schrift selbstverständlich noch nicht die komplizierte Struktur des Seelenlebens berücksichtigt. Darüber erfahren wir erst vor seinem Tod in seinen Leitsätzen. In ihnen beschreibt er: Im Denken lebt sowohl das Fühlen als auch das Wollen. Im Fühlen das Denken und das Wollen, und im Wollen das Denken und das Fühlen. Das klingt zuerst ziemlich kompliziert. Und das ist es auch in Wirklichkeit. Wir können in der Tat nicht bloss vom Denken reden, weil im Denken auch immer das Fühlen und das Wollen mitanwesend sind. Dieses gemeinsame Weben macht eine dynamische und lebendige Zusammenarbeit zwischen dem Denken, dem Fühlen und dem Wollen möglich.

Ohne das Fühlen und das Wollen kann man eigentlich im Denken nichts erkennen. Was wahr sein kann, kann man ja ganz unterschiedlich denken. Das Denken ist universal. Deshalb macht uns das Denken labil, weil es alles für möglich halten kann.
Das Wahrheitsgefühl „ja, das ist wahr!“ macht uns erst zur Gewissheit einer Erkenntnis. Das kann man nicht woanders holen, wenn man als ein freier Mensch selbstständig seine Erkenntnis gewinnen will. Das Gefühl muss man in seinem eigenen Herz spüren.

Steiner hat in einigen Vorträgen auf die entscheidende Bedeutung eines Wahrheitsgefühls hingewiesen. Aber seine gewisse Vorliebe zum Denken hat unter den nachkommenden Anthroposophen eine starke Neigung hervorgerufen, dem Denken allein einen Mythos zuzuschreiben. Das macht manchmal eine anthroposophische Arbeit sehr intellektuell, weil unsere Aufmerksamkeit dabei einzig auf den Kopf gelenkt wird.

Ich denke, die Zeit war zu Lebzeiten Steiners noch nicht reif dafür, die Erkenntnispraxis konkret weit über das Denken hinaus zu erweitern. Steiner begann erst gegen Ende seines Lebens z.B. die Karmaübungen zu geben, die nicht nur auf dem Denken basieren.



Die Erben der Erkenntnis- und Schulungsfragen Steiners, in denen quantitativ gesehen eindeutig die gedankliche Art vorherrschend ist, bestimmen auch die Haltung seiner nachkommenden Schülerschaft bis heute. Die Anthroposophen können sehr diszipliniert, hilfsbereit und auch verantwortungsvoll sein. Aber diese Eigenschaft kann man auch übertreiben. An manchen sehr anthroposophischen Menschen vermisse ich
eine wirkliche Offenheit, eine authentische Selbstkongruenz und eine natürliche Herzlichkeit.

Sie scheinen den Kontakt zu dem Herz gebrochen zu haben, damit sie sich stets unter eine strenge moralische oder auch intellektuelle Selbstkontrolle stellen können. Mir scheint, dass sie sich teilweise zu sehr mit ihren Idealen und Geboten zwingen, wie sie sein sollen.

Auch ich habe mich früher in einer ganz strengen gedanklichen Art mit Steiners Werk beschäftigt und mich dabei unter eine geistige Kontrolle gestellt. Und ich habe irgendwann bemerkt, dass diese Art der Schulung heute anders als damals den Menschen keine produktive Selbstentfaltung mehr ermöglicht.
Das Herz muss heute in einem noch viel grösseren Mass als vor 100 Jahren in alle Angelegenheiten des Lebens miteinbezogen werden.



Wir können ja nicht immer in den Schriften und Vorträgen Steiners die Stellen suchen, in denen er die gerade passende Antwort auf unsere Fragen gibt. Da machen wir uns unfrei. Steiners Bücher können uns helfen, Wahrnehmungs- und Erkenntnisorgane in uns zu bilden. Wer diese Basis hat, kann selbstständig seine Organe erweitern. Ohne sich auf die konkreten einzelnen Aussagen Steiners zu stützen kann er unabhängig in allem forschen.

Bis dahin habe ich beschrieben, wie ich aus heutiger Sicht die Grenzen Steiners in seiner damaligen Ausdrucksart und die damit zusammenhängenden Besonderheiten seiner anthroposophischen Nachkommenschaft erlebe.

Nun gehen wir jetzt auf den konkreten Inhalt ein.

Steiner vermittelt uns eine wunderbare Wesenhaftigkeit, die uns im intuitiven Denken entgegenkommt. In dieser Beschreibung erlebe ich nach, dass sein intuitives Denken gar nichts Totes in sich hat. Eine schöpferische Angelegenheit ist es. Und das ist der Charakter einer Intuition, dass sie etwas Beflügelndes hat. Die Gedanken, die nur aus dem logischen oder erfahrungsbezogenen Denken entspringen, tragen diese Eigenschaften nicht. Worte können den intellektuellen Ohren klug klingen und für das Alltagsdenken etwas total Überzeugendes haben, dennoch fehlt ihnen absolut das Leben. Ein angenehmes befreiendes Lichterlebnis einer Intuition bleibt aus.

Was ist aber diese „Wesenhaftigkeit“, die Steiner hier meint? Eine Wesenhaftigkeit macht eine Intuition wirklich wesenhaft. Eine Intuition kann deshalb nicht immer nur in trockene Worte übersetzt werden, sondern als Bild oder dynamische Bewegung in der Seele erfasst werden, je nachdem wie man geartet ist. Die Wesenhaftigkeit einer Intuition lässt uns leicht ein Bildgeschehen wie eine Geschichte oder ein Märchen erleben. Dabei begegnen wir den Aussagen der Inhalte lebendig und wesenhaft in den personifizierten Wesen wie Menschen oder Tiere.

Wir erfinden nicht extra ein Märchen, sondern die Seele schafft die Bilder aus der erlebten Intuition auf eine natürliche Art. Selbstverständlich kann man die Wesenhaftigkeit in einer gedanklichen Eingebung oder in einer klaren Form des Begriffes wahrnehmen, so wie Steiner gerade hier betont. Die Möglichkeiten, die Wesenhaftigkeit zu erleben sind viele.

Junko Hill






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