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Sonntag, 1. April 2012

Nur durch die universelle Zusammenarbeit kann die Erdenzivilisation gerettet werden



Wenn wir die sozialen Schwierigkeiten in der Anthroposophischen Gesellschaft verstehen wollen, brauchen wir eine erweiterte Betrachtung unter Berücksichtigung der natürlichen Spezialisierung der Menschen je nach Kultur- und Volks-Zusammenhängen.

Bereits in den verschiedenen Artikeln habe ich versucht, meine Wahrnehmung zu schildern, wie eine soziale Karma-Empfindung bei den östlichen Menschen z.B. bei den Japanern zu finden ist und hier in Europa eine solche natürliche Anlage im Menschen wenig vorhanden ist, so wie andererseits die natürliche Fähigkeit zum Freiheitsimpuls im asiatischen Menschen kaum zu finden ist. Die sozial-karmische Empfindung kann hier in Europa ohne eine bewusste Förderung nicht entstehen - das ist nicht auf natürliche Weise da - so wie die Japaner den Freiheitsimpuls ganz bewusst in sich selber erwecken müssen. Die natürliche Anlage der Japaner würde sie nicht dazu bringen.

Ich habe einen Vortrag von Steiner gefunden, in dem er diese Gesichtspunkte ausführlich beleuchtet. Er schildert im Vortrag (GA 191, Dornach 10. 10. 1919 ), dass es drei menschliche Fähigkeiten gibt, welche dem Niedergang der Zivilisation entgegenwirken.




Die erste, die dem Niedergang der Erdenzivilisation entgegenwirkt, ist die Fähigkeit zur kosmogonischen Wissenschaftlichkeit. Diese Begabung wird vor allem im Anglo-Amerikanischen Kulturraum entfaltet.
"Der Mensch kann nicht stark sein im Leben, wenn er keine Kosmogonie hat. Das ist das eine, was, ich möchte sagen, als das wissenschaftliche Element unsere Zivilisation zum Niedergange treibt."

Und die zweite Fähigkeit, welche die Erdenzivilisation rettet, ist der Impuls zur Freiheit. Diese Anlage wird auf natürliche Art in Europa gebildet.
"Das zweite Element, das unsere Zivilisation zum Niedergange treibt, ist das, daß kein rechter Impuls für die Freiheit vorhanden ist. Es fehit unserer Zivilisation die Möglichkeit, in umfassender Art die Freiheit des Lebens zu begründen. Nur wenige Menschen verschaffen sich in der Gegenwart einen wirklichen Begriff, obwohl viele von der Freiheit reden, und noch weniger einen wirklichen inneren Impuls für dasjenige, was Freiheit ist."

Und die dritte, ohne welche die Erdenzivilisation nicht gerettet werden kann, ist die Fähigkeit zur Brüderlichkeit. Und diese Anlage wird in Asien gefördert.
"Und das dritte ist, daß unsere Zivilisation keinen neuen Antrieb hervorzubringen vermag für ein wirkliches religiöses Empfinden und Wollen. Unsere Zivilisation möchte eigentlich nur alte Religionsbekenntnisse weiter pflegen und aufwärmen. Neue religiöse Impulse ins Leben zu setzen, dafür fehlt unserer Zivilisation die Kraft, und es fehlt unserer Zivilisation auch dadurch die Kraft zum wirklichen altruistischen Handeln im Leben. Unsere Zivilisation ist deshalb so egoistisch durchsetzt, weil sie eigentlich keinen starken altruistischen Antrieb enthält. Ein starker altruistischer Antrieb kann nur kommen von einer geistigen Weltanschauung. Nur wenn der Mensch sich weiß als ein Glied der geistigen Welt, hört er auf, sich selbst so furchtbar interessant zu sein, daß ihm das eigene Selbst nur zum Mittelpunkte der ganzen Welt wird; dann hören die egoistischen Antriebe auf, die altrulstischen Antriebe beginnen"


"Wir müssen uns fragen: Gibt es keine Möglichkeit, zu einer kosmogonischen Vorstellungsart wiederum zu kommen? Gibt es keine Möglichkeit, zu einem wirklich sozial wirkenden Impuls der Freiheit zu kommen? Gibt es keine Möglichkeit zu einem Impuls, der religiös und ein Impuls der Brüderlichkeit zugleich ist, also eine wirkliche Grundlage der ökonomisch sozialen Ordnung ist, gibt es keine Möglichkeit, zu einem solchen Impulse zu kommen? - Und wenn wir uns aus der Realität heraus diese Fragen vor­legen, dann gewinnen wir auch reale Antworten; denn dasjenige, um was es sich dabei handelt, das ist dieses: daß in der Gegenwart nicht alle Menschenarten veranlagt sind, zur ganzen umfassenden Welten-Wahrheit zu kommen, sondern daß die verschiedenen Menschenarten der Erde nur veranlagt sind, zu Teilgebieten des wahren Wirkens zu kommen. Und wir müssen uns fragen: Wo ist vielleicht im gegenwärtigen Erdenleben die Möglichkeit vorhanden, daß eine Kosmogonie sich entwickle, wo ist die Möglichkeit vorhanden, daß ein durch-greifender Impuls der Freiheit sich entwickle, und wo ist der Impuls vorhanden zu einem religiösen und brüderlichen Zusammenleben der Menschen im sozialen Sinne? Fangen wir mit dem letzteren an, dann ergibt eine unbefangene Beobachtung unserer irdischen Verhältnisse dieses, daß wir suchen müssen die Gesinnung, die Denkweise für einen wirklich brüderlichen Impuls auf unserer Erde bei den asiatischen Völkern; bei den asiatischen Völkern, insbesondere in der chinesischen und indischen Kultur. Trotzdem diese Kulturen bereits in die Dekadenz gekommen sind, und trotzdem das scheinbar der äußeren Oberflächen-beobachtung widerspricht, finden wir dort jene Impulse innerlichst vom Herzen des Menschen ausgehender Liebe zu allen Wesen, welche allein die Grundlagen abgeben können, erstens für religiösen Altruismus und zweitens für eine wirkliche, altruistische ökonomische Kultur."

(Hier möchte ich etwas Persönliches einschalten. Als ich von Japan nach Europa kam und am Priesterseminar studierte, war ich im gewissen Sinne überaus glücklich, weil ich die innere Dauerbereitschaft für die Rücksicht auf die anderen Menschen loslassen konnte. Ich habe damals das Leben in Europa wie eine Erlösung gefunden, weil ich nicht mehr unter dem inneren Gewissensbiss - egoistisch zu sein, weil ich meine individuelle Freiheit will - leiden musste. Einerseits war das Leben in Europa eine Rettung für meine Freiheit, aber anderseits erlebte ich ab und zu eine Atemlosigkeit wegen der durch und durch konzentrierten individualistischen Neigung der Menschen. Am Wochenende in den ersten Jahren war ich wegen dieser Atmosphäre, in der jeder aus seiner eigenen Ansicht heraus handelt, oft totmüde, sehnte ich mich intensiv nach einem angenehm umhüllenden sozialen Lebensatem in Asien. Ich ging deshalb am Wochenende ab und zu zu einem chinesischen Restaurant, nicht sehr wegen des Essens, sondern wegen der Atmosphäre, die einzig dort vorhanden war. Zwar gab es einige japanische Studenten am Seminar, aber ich hatte das Gefühl, der Austausch mit ihnen allein reicht sogar nicht aus, mich von dieser ätherischen Müdigkeit zu erholen. Und so ging ich regelmässig allein zu den Chinesen.
Ich erinnere mich lebendig an eine Chinesin, die mich bediente und ab und zu mich liebevoll und besorgt fragte, wieso ich so müde aussehe und ob mir etwas fehle? Die Art, wie sie mich so fragte, war unglaublich rührend. Ich spürte, dass ich wieder mit meiner Seele ätherisch atmen kann. Und ich fühlte mich wieder in einem sozialen Lebensatem drinnen zu sein, das ich auch aus Japan kannte. Ich sagte zu ihr, ich sehe bei ihnen immer so müde aus, weil ich hierher komme, nur wenn ich wirklich totmüde bin. Eine unkomplizierte vitale Atmosphäre, die dort war, hat mich immer schnell ätherisch aufgebaut. Ich denke, diese unmittelbar vitalen Lebenskräfte, die ich dort erleben konnte, haben die Japaner nicht so in dieser Intensität, weil sie insgesamt etwas intellektueller veranlagt sind. Aus diesem Grund bin ich überzeugt davon, dass die Japaner eben eine Brückenfunktion zwischen dem westlichen und dem asiatischen Kulturraum leisten sollten.)


"Will heute der Amerikaner außer der Kosmogonie auch noch die Freiheit und den Sozialismus aus sich selbst heraus gestalten: er kann es nicht. Will heute der Europäer zu der Begründung des Impulses der Freiheit auch noch die Kosmogonie finden und den Altruismus: er kann es nicht. Ebensowenig kann der Asiate etwas anderes als seinen alteingelebten Altruismus geltend machen. Wird dieser Altruismus von den anderen Bevölkerungsmassen der Erde übernommen und durchdrungen mit dem, wozu diese wiederum ihre Talente haben, dann erst kommen wir wirklich vorwärts. Heute ist die Menschheit darauf angewiesen, zusammenzuarbeiten, weil die Menschheit verschiedene Talente hat. Wir müssen uns schon einmal das Geständnis machen, daß unsere Zivilisation schwach geworden ist und daß sie wiederum stark werden muß."


Also jede Menschengruppe auf der Erde hat je nach Anlage einen bestimmten Schwerpunkt in seiner Fähigkeit. Im Sinne einer Spezialisierung wird zuerst eine konkrete Fähigkeit innerhalb einer bestimmten Menschengruppe entwickelt. Aber diese unterschiedlichen Fähigkeiten, die so zuerst voneinander getrennt entwickelt werden, müssen zusammenkommen, wenn die Menschheit die Erdenzivilisation retten will. Die einzelnen Fähigkeiten, die getrennt wirken, reichen nicht aus. Sie müssen zusammenkommen für die gemeinsame Zukunft der Menschheit.


"Was hat Europa? Europa hat die äußerste Notwendigkeit, die soziale Frage zu lösen, aber es hat keine Gesinnung für die soziale Frage. Es müßte eigentlich die asiatische Gesinnung haben, wenn es die soziale Frage lösen wollte. Alle Vorbedingungen zur Lösung der sozialen Frage sind aus den sozialen Notwendigkeiten in Europa da; aber es müßten sich die Europäer erst durchdringen mit jener Denkungsweise, die dem Asiaten natürlich ist; nur hat er kein Talent, wirklich äußerlich die soziale Not zu sehen. Oftmals gefällt sie ihm sogar. In Europa ist der äußere Antrieb da, irgend etwas in der sozlalen Frage zu machen, aber es ist nicht die Gesinnung dazu da. Dafür ist in Europa in stärkstem Maße da das Talent, die Fähigkeit, den Impuls der Freiheit zu begründen. Dasjenige, was speziell europäische Talente sind, das ist dazu da, das innere Gefühl, die innere Empfindung der Freiheit im eminentesten Maße auszugestalten."

Rudolf Steiner sagt, dass die Europäer die nötigen Bedingungen für die Gestaltung des sozialen Lebens, aber keine nötige Gesinnung besitzen. Und diese Gesinnung sollten sie von den Asiaten lernen. Umgekehrt haben die Asiaten zwar die brüderliche Gesinnung, haben aber keine Fähigkeiten, aus sich heraus eine konkrete und sinnvolle Gestaltung zu erzeugen. Die Wachheit zur äusseren Gestaltung sollten sie von den Europäern lernen.

Steiner sagt: Solange eine solche brüderliche Gesinnung im Menschen nicht erweckt wird, können die Gedanken der Reinkarnation nicht auf fruchtbare Weise aufgefasst werden.
"Aber wie wurden die Impulse der Reinkarnation und des Karma aufgefaßt? Selbst von denjenigen, die sich zuwandten diesen Ideen von Reinkarnation und Karma, wurden diese Ideen im Grunde genommen in sehr egoistischem Sinne aufgefaßt. Es wurde zum Beispiel gesagt, der Mensch habe sein Schicksal verdient in einem bestimmten Leben. Man hat sogar hören können von sonst intelligenten Leuten, daß die Ideen von Reinkarnation und Karma an sich schon eine Beantwortung seien für die Frage nach dem Vorhandensein des menschlichen Leides; die soziale Frage habe im Grunde genommen keine Berechtigung. So haben manche, sonst intelligente Leute gesagt, der Arme habe sich das eben in seiner früheren Inkarnation verdient und er habe nur dasjenige in seiner jetzigen Inkarnation auszuleben, was er sich in seiner früheren Inkarnation verdient hat. Sogar die Ideen von Reinkarnation und Karma sind nicht im stande, in unsere Zivilisation hereinzuwirken, so, daß sie einen Antrieb bilden zum altruistischen Empfinden."



Für die fruchtbare Praxis der Karmaerkenntnis, die in unserer 5. Kulturepoche der Bewusstseinsseele eine entscheidende Rolle spielt, muss zuerst eine brüderliche Gesinnung bewusst angeeignet werden, die in Asien auf natürliche Weise gepflegt wird.

Zwar hatten die Anthroposophen damals zu Lebzeiten Steiners eine weit entwickelte Erkenntnisgrundlage, auf der sie das Karmische durchaus klar betrachten vermochten, dennoch fehlte ihnen diese Gesinnung, die neben dem klaren Erkenntnisvermögen nötig ist. Aber dazu konnte man damals noch nicht kommen. Das führte die Anthroposophische Gesellschaft zu einer existenziellen Krise, von dessen Einfluss die Gesellschaft bis heute noch nicht befreit ist.

Nur durch eine universelle Zusammenarbeit der unterschiedlichen Menschengruppen kann die Erdenzivilisation gerettet werden. Wenn jeder von uns zu einem neuen geistigen Weltenmenschen wird und von den anderen Erdengebieten in einer Respekthaltung etwas, was ihm fehlt, entgegennehmen lernt, dann können wir dem Niedergang der Erdenkultur kraftvoll entgegenwirken, der sich rasch auf der Erde verbreitet. Mit den folgenden Worten beendet Steiner den Vortrag.

"Dieses ehrliche und aufrichtige Sprechen, das macht notwendig, daß wir ungeschminkt solche Dinge, die die Zivilisationsgeheimnisse der Gegenwart sind, hinstellen : Anglo-Amerikanertum hat das Talent zur Kosmogonie; Europa hat das Talent zur Freiheit; Asien hat das Talent zum Altruismus, zur Religion, zu einer sozialökonomischen Ordnung.
Diese drei Gesinnungen müssen für die ganze Menschheit verschmelzen. Weltenmenschen müssen wir werden und vom Standpunkte des Weltenmenschen aus wirken. Dann kann einstmals dasjenige kommen, was die Zeit wirklich fordert."


Junko Althaus














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