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Montag, 13. Juni 2011

Der Buddha, der sich mit dem Christus verband und sich entwickelt - das universale Mitgefühl aus Osten


GA191 „Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis“, 12. Vortrag, Dornach, 2. November 1919

„Die gestrigen Betrachtungen werden Ihnen gezeigt haben, daß wir, um hineinzusehen in das eigentliche Getriebe des Menschenwerdens und Menschenwesens, gar sehr ins Seelenauge fassen müssen die Wirksamkeit der luziferischen Macht, der Christus-Macht, der ahrimanischen Macht. Es handelt sich darum, daß diese Mächte ja gewiß auch im bisherigen Verlauf der Weltenentwickelung gewirkt haben. Aber sie haben gewirkt in Sphären, die es nicht notwendig machten, daß der Mensch ein deutliches Bewußtsein habe von der Art und Weise der Wirksamkeit dieser Mächte. Das ist gerade der Sinn unseres fünften nachatlantischen Zeitraumes, daß der Mensch immer mehr und mehr ein Bewußtsein empfange von dem, was eigentlich durch ihn im Erdendasein durchwirkt. Es würde auch im Grunde heute schon notwendig sein, viel, viel mehr von den Lebensgeheimnissen der Menschheit zu enthüllen, wenn die Menschheit geneigter wäre, die Dinge sachlicher und objektiver aufzunehmen. Aber ohne gewisse Erkenntnisse gerade nach der Richtung hin, die gestern gezeigt worden ist, wird die Menschheit weder im sozialen noch im innerlichen Leben zunächst vorwärtskommen können. Denn bedenken Sie nur einmal etwas, was zusammenhängt mit unseren durch Monate hindurch gepflogenen sozialen Betrachtungen. Die zielen darauf hin, den Nachweis zu führen von der Notwendigkeit, das geistige Leben neben dem Rechts- oder Staatsleben von dem bloß wirtschaftlichen Leben abzusondern. Vor allen Dingen zielen sie darauf hin, Verhältnisse über die Welt hin zu schaffen, oder wenigstens - mehr können wir ja zunächst nicht tun - Verhältnisse über die Welt hin als die richtigen zu betrachten, welche ein selbständiges Geistesleben begründen, ein Geistesleben, das nicht abhängig ist von den anderen Strukturen des sozialen Lebens, wie unser gegenwärtiges Geistesleben, das ganz drinnensteckt im Wirtschaftsleben auf der einen Seite und im politischen Staatsleben auf der anderen Seite. Entweder wird die heutige zivilisierte Menschheit sich dazu bequemen müssen, ein solches selbständiges Geistesleben hinzunehmen, oder die gegenwärtige Zivilisation muß ihrem Untergang entgegengehen und aus den asiatischen Kulturen muß sich etwas Zukünftiges für die Menschheit ergeben.

Wer heute noch nicht glaubt, daß die Dinge so ernst liegen, der fördert auch in einer gewissen Richtung dasjenige, was Vorbereitung ist für die ahrimanische Zukunftsinkarnation. Es ist ja heute schon im Grunde genommen aus den Außendingen, aus den äußeren Tatsachen des menschlichen Lebens manches, was in Bezug auf diese Wahrheit Aufschluß geben könnte, zu erkennen. Die ahrimanische Inkarnation wird dann ganz besonders gefördert werden, wenn man es ablehnt, ein selbständiges freies Geistesleben zu begründen, und das Geistesleben weiter drinnenstecken läßt in dem Wirtschaftskreislauf oder in dem Staatsleben. Denn diejenige Macht, welche das weitaus größte Interesse hat an einer solchen weiteren Verquickung des Geisteslebens mit dem Wirtschaftsleben und mit dem Rechtsleben, das ist eben die ahrimanische Macht. Die ahrimanische Macht wird das freie Geistesleben wie eine Art von Finsternis empfinden. Und das Interesse der Menschen an diesem freien Geistesleben wird diese ahrimanische Macht empfinden wie ein sie brennendes Feuer, ein seelisches Feuer, aber ein sie stark brennendes Feuer. Daher obliegt es geradezu dem Menschen, um die richtige Stellung, das richtige Verhältnis zur ahrimanischen Inkarnation in der nächsten Zukunft zu finden, dieses freie Geistesleben zu begründen. „


Rudolf Steiner spricht hier von den Schwierigkeiten beim Vorwärtskommen im sozialen und inneren Leben. Die Entwicklung der beiden Richtungen hängt in dieser 5. Kulturepoche von dem Zustandekommen eines Geisteslebens ab, das unabhängig von dem Wirtschaftsleben und von dem politischen Staatsleben ist. Wenn aber diese Unabhängigkeit nicht zustande käme, dann „muss die gegenwärtige Zivilisation ihrem Untergang entgegengehen und aus den asiatischen Kulturen muß sich etwas Zukünftiges für die Menschheit ergeben.


Es ist höchst interessant, dass hier Steiner klar sagt, es gäbe einen Ansatz für die Zukunft der Menschheit, der aber aus den asiatischen Kulturen kommt, wenn die westlich europäische Zivilisation das Geistesleben weiterhin nicht vom Wirtschaftsleben und vom politischen Staatsleben befreien kann, denn sonst entstehe, nach seinem Dafürhalten, keine Weiterentwicklung im sozialen und im inneren Leben. Ich denke, wesentlich hat sich die Situation nicht verändert seit seiner Lebzeit – man kann nicht sagen, dass das Geistesleben sich von den beiden anderen Lebensgebieten befreiet hätte. Für mein Auge leidet die westliche Zivilisation, die bis jetzt als führender Kulturimpuls die ganze Welt inspirierte, an einer Stagnation genau wegen den inneren und sozialen Problemen, von denen Steiner hier anspricht. Diese Problematik kann man ja auch in der anthroposophischen Bewegung feststellen. Daher ist dies eine Aussage Steiners, die meine Ahnung, die immer stärker aufstieg, von Grund auf unterstützt: Ein neuer Ansatz, der das Leben sozial fruchtbar macht und die Intelligenz verinnerlicht, könnte jetzt aus dem Osten, aus Asien kommen. Ich sehe einen Schlüssel dafür im Mahayana-Buddhismus, der in Japan entwickelt wurde. Manche Anthroposophen denken vielleicht: Wir haben hier in der Anthroposophie eine westliche Esoterik zu pflegen. Und sie muss von den buddhistischen Ansätzen ganz unterschiedlich werden.


Hier möchte ich eine weitere Stelle aus einem Vortrag Steiners zitieren, die für mich eine entscheidende Bedeutung für das Verständnis über den Buddha gab, als ich mich vor 15 Jahren mit der Gegenwrt des Buddha beschäftigte,


GA124 „Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums“, NEUNTER VORTRAG, Berlin, 13. März 1911

„Nun wird aber verknüpft sein mit dem, was da eintritt, die Notwendigkeit, zu unterscheiden zwischen einem orthodoxen altorientalischen Buddhismus, der sozusagen den stehengebliebenen Buddhismus hereinverpflanzen will nach Europa und aus dem stehengebliebenen Buddhismus heraus eine «Christus-Idee» erkennen will, und einem wirklich fortentwickelten Buddhismus. Das heißt, es wird Leute geben, die von Buddha so sprechen werden: Seht hin auf Buddha, wie er ungefähr fünf bis sechs Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung gelebt hat! Das sind seine Lehren! - Was diese Leute sagen werden, das ist zu vergleichen mit dem, was die Geisteswissenschaft im rosenkreuzerischen Sinne sagen muß: Es liegt an euch, nicht an Buddha, daß ihr heute so sprecht, als ob Buddha auf dem Standpunkt stehen geblieben wäre, wo er war fünf bis sechs Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung! Glaubt ihr, Buddha sei nicht fortgeschritten? Wenn ihr so sprecht, redet ihr von einer Lehre, die für die damalige Zeit richtig war. Redet immerhin von einer Lehre des Buddha, wie er sie gegeben hat, richtig berechnet für die Zeit fünf bis sechs Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung! Wir aber schauen hinauf zu dem Buddha, der fortgeschritten ist, und der aus geistigen Höhen seinen fortdauernden Einfluß auf die Menschheitskultur ausübt. Wir schauen hin auf jenen Buddha, den wir bei der Betrachtung des Lukas-Evangeliums darstellen konnten, der seinen Einfluß gewonnen hat auf den Jesus aus der nathanischen Linie des Hauses David; schauen auf den Buddha, wie er sich im Reiche des Geistes weiter entwickelt hat, und der uns heute die maßgebenden Wahrheiten zu sagen hat, auf die es ankommt.....Und ich kann Ihnen die Versicherung geben, wenn Sie alles nehmen an geschichtlichen Erkenntnissen, was Sie nur auffinden können, und die geisteswissenschaftliche Entwickelung Europas wirklich verfolgen, so können Sie sehen, daß wir jetzt an dem Punkt eines Zusammenfließens des Christentums mit dem Buddhismus stehen. Ebenso wie in der charakterisierten Zeit ein Zusammenfließen der Jahve-Religion mit dem Christentum geschah, so stehen wir heute an einem Zusammenfluß des Buddhismus mit dem Christentum.....Es arbeiten in einer gewissen Beziehung unsere Forscher, unsere Denker mit unbrauchbar gewordenen Begriffen, weil sie im weitesten Maße noch nicht imstande sind, in der richtigen Weise die Nebenströmung (vom Buddha) aufzunehmen und zu verarbeiten, die sich vorzugsweise charakterisiert in den Ideen von Reinkarnation und Karma und in dem, was die Geisteswissenschaft sonst zu geben vermag. Mit unbrauchbar gewordenen Begriffen arbeiten unsere Forscher..... Daraus sehen wir, wie mit unserer Kultur zusammenfließen muß eine Nebenströmung. Das ist die Merkurströmung (vom Buddha), die sich dadurch kundgibt, daß der, welcher heute eine okkulte Entwickelung durchmacht, wie sie in den verschiedenen Vorträgen geschildert worden ist, hineinwächst in die geistige Welt und dadurch gewisse neue Tatsachen erlebt. Die fließen ihm zu, strömen in seine Seele hinein. “

In diesem Vortrag spricht Steiner von der alten Lehre des irdischen Buddhas, die vor dem Mysterium von Golgatha auf der Erde wirkte und von den neuen Inspirationen des Buddhas, der sich weiter entwickelt. Der Buddha hatte auf eine erhebliche Art einen Anteil an dem Christus-Geschehen auf der Erde um die Zeitenwende. Darüber wird von Steiner im seinem Zyklus über das Lukas-Evangelium ausgeführt. Der Buddha ist ausserdem ein intimer Freund von Christian Rosenkreuz und ein zentraler Mitarbeiter im geistigen Rosenkreuzertum, der auch die Anthroposophie Steiners inspirierte.

Steiner ging aber in seinem ganzen Leben nie auf den Unterschied zwischen dem Hinayana- und Mahayana-Buddhismus ein. Der Hinayana bewahrt im Prinzip die alte Lehre des Buddhas. Der Mahayana-Buddhismus aber entwickelte sich als der neu reformierte Buddhismus gleich nach dem Mysterium von Golgatha. Um das 1. Jahrhundert entstanden wichtige Sutras für den Mahayana. Und der Mahayana besitzt unverwechselbare Merkmale des entwickelten Buddhas, der beim Christus-Ereignis auf der Erde vor allem durch eine intensive Beziehung zum nathanischen Jesus mitwirkte. Der Gotama Buddha entwickelte sich und man kann die Spuren seiner Verbindung mit dem Christus feststellen, wenn man die Weiterentwicklung des Buddhismus nach der Zeitenwende sorgsam verfolgt. Die erdflüchtigen Tendenzen ziehen sich zurück. Der Buddhismus verwandelte sich immer mehr zu einer Religion, welche die Welt bejaht. Diese Tendenz der Verwandlung kann man auf eine ganz intensive Weise im Mahayana-Buddhismus in Japan feststellen. Während in Tibet der Buddhismus innerhalb der hierarchischen Struktur des Mönchtums von der modernen Zivilisation weit gehend getrennt gepflegt wurde, wurde der Buddhismus in Japan zu einer die Welt bejahenden Religion, die mitten in einer Samurai-Kultur mit ihren weltlichen Kämpfen sich entwickelte und in der alle Menschen, auch die Menschen, die keine religiöse Eliten sind, durch das universale Mitgefühl des Amida-Buddhas (des ewigen Buddhas) in seinem unermesslichen Licht und Leben (wie Christus) erlöst werden können.

Für den Mahayana ist es ganz entscheidend, dass die gesamte Menschheit und alle Lebewesen miteinander erlöst werden. Hier lebt der Ur-Soziale Impuls des Mahayanas, der für mich den Christusimpuls auf östliche Weise sich darstellt, denn der Christus ist die soziale Erscheinung, so wie Steiner sagt. Die Menschen im Mahayana-Buddhismus wollen nicht für die eigene Erlösung als einzelne sich entwickeln, denn für sie gibt es keine Erlösung, wenn nicht alle Lebewesen miterlöst werden könnten. Der Mahayana sah in der Bemühung der elitären Mönche eine egoistische Neigung, denn bei ihnen herrschte die Ansicht, dass die Menschen, die keine Mönche waren und welche die weltlichen Dinge für sie erledigten, fern von der Erlösung standen. Sie galten als die Bösen und die Niederen.

Das erinnert uns an die Essäer, die ebenso das Weltliche vermieden, damit sie sich rein erhalten konnten. Vor den Toren ihrer Versammlungsorte aber flohen Luzifer und Ahriman und gingen in die Stadt und fielen über die anderen Menschen her. Jesus, der es sah, empfand an ihnen den Mangel allgemeiner Menschenliebe und litt darunter tief, bevor er zur Jordantaufe ging. Darüber berichtet Steiner im 5. Evangelium. Genau diese Tendenz, die hierarchische Gefälle im religiösen Sinne, wurde vor allem im Jodo-Shinshu-Buddhismus in Japan bewusst aufgehoben, um den elitären religiösen Egoismus zu überwinden.



Der Buddhismus hat sehr unterschiedliche Nuancen an sich entwickelt, je nachdem wo er sich ausbreitete. In Japan scheint mir der Buddhismus sehr von einem modernen christlichen Impuls duchzogen zu sein (es erreichte auch kein Hinayana das Land Japan). Die Lehre des Jodo-Shinshus, einer Strömung des Mahayana in Japan, stammt von Shinran, der zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert lebte. Seine Lehre ist bis jetzt wenig bekannt in Westen, aber ich sehe darin einen heilenden Impuls, der aus der Sphäre des Merkurs (nach Steiner ist Buddha der Merkur) uns zuströmt. Shinran empfing nach meiner Ansicht einen neuen heilsamen Impuls von dem sich entwickelnden Buddha, der ihn dazu inspirierte, um den Buddhismus von den hierarchischen Strukturen der Gesellschaft zu befreien. Shinran hat den Zölibat bereits im 13. Jahrhundert, also viel früher aufgehoben als die Reformation im Christentum durch Luther. Er heiratete eine Frau und machte keinen Unterschied mehr für die religiöse Erlösung von den Mönchen und von den weltlichen Männern, den Frauen und den Kindern. Seine buddhistische Strömung ist bis heute die grösste und beliebteste in Japan. Dieses Ideal, die reale Gleichbehandlung der allen Lebewesen und der Menschen bei der Erlösung durch den Amida-Buddha im unermesslischen Licht des universalen Mitgefühls lebt heute noch im Herzen der Japaner.

Junko Althaus






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