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Mittwoch, 29. Mai 2013

Das Verhältnis Rudolf Steiners zu Edith Maryon.Teil 2: Die Abgrenzung Steiners




Teil 2

Wir kehren zum Verhältnis Steiners zu Maryon zurück. Steiner musste in einer beispiellosen Strenge gegenüber Maryon die Grenzen setzten. Dies betrifft die Arbeit, die er an der Holzplastik mit ihr zusammen tat. Das ist kein typisches Verhalten von ihm. 

Was man daraus ablesen kann, heisst: Steiner hat Maryon, die ohne die Zusage von ihm erhalten zu haben, selber zu ihm nach Dornach kam, angenommen als seine Mitarbeiterin. Sie hatte allerdings viele grundsätzlich von der Geistesrichtung Steiners verschiedene Elemente und Denkansätzen mitgebracht und in sich während der Arbeit weiter getragen. Dennoch gab es einen karmischen Grund, dass sie zu der anthroposophischen Bewegung dazu kam. Das wurde auch von der geistigen Welt so angenommen. Doch für Steiner wurde dadurch ein strengstes Grenzensetzen gegenüber Maryon eine unabdingbare Notwendigkeit. Ohne diese strenge Massnahme hätten – aus dem bereits genannten Mangel der Wahrnehmung der Ich-Positionierung in den Beziehungen und Stellungen – ihre völlig andersartigen Einflüsse, die an ihr in karmischer Art vorhanden waren, die Geistesrichtung Steiners wie ein Tsunami überdeckt und ihre eigenen Richtungen durchgesetzt.

Über dieses eigenartige und sonderbare Verhalten Steiners zu Maryon sprach Rudolf Steiner selber dann in  seiner Anrede nach dem Tod Edith Maryons. Der Leser sollte selber darüber die eigenen Urteile bilden. 





Aus «Gedenkworte für Charlotte Ferreri und Edith Maryon>, Sanistag, 3. Mai 1924, in Dornach (GA 261)
(Fette Merkierungen durch J.A. )

"Meine lieben Freunde, nun haben wir die irdischen Überreste von Edith Maryon nach dem Krematorium in Basel zu schicken gehabt. Freitag früh ist die Mitgliedschaft unserer Anthroposophischen Gesellschaft, soweit sie hier ist, von der schmerzlichen Nachricht betroffen worden, daß unsere langjährige Mitarbeiterin, Mitarbeiterin seit dem Beginne der Arbeit hier am Goetheanum, Edith Maryon, den physischen Plan verlassen hat....
Edith Maryon hat das, was in der anthroposophischen Bewegung zu finden ist, dadurch gesucht, daß sie zunächst innerhalb einer anderen esoterischen Gruppe Mitglied war und an den verschiedensten Arbeiten dieser Gruppe als ein sehr tätiges Mitglied teilgenommen hatte. Es han delt sich da um eine esoterische Gruppe, die dann später in einer Reihe von Mitgliedern auch den Eingang in unsere anthroposophische Bewegung gefunden hat. Dann kam, noch immer zu kurzen Besuchen der anthroposophischen Bewegung innerhalb Deutschlands, Edith Maryon aus England herüber. Es wurde ihr zuerst das Äußerliche des Einglie derns schwer, da sie nicht Deutsch verstand. Sie überwand aber mit einem eisernen Fleiße gerade dieses Hindernis und konnte so in einer verhältnismäßig kurzen Zeit sich ganz hineinfügen in alles, was innerhalb gerade des deutschsprechenden Teiles der anthroposophischen Bewe gung gegeben wird. Sie fand sich so innig mit der anthroposophischen Bewegung zusammen, daß sie schon von 1914 ab, von der ersten Arbeit hier ab, teilnahm von der Seite ihrer besonderen Künstlerschaft aus.
Edith Maryon war eine bekannte Bildhauerin seit langem. Sie hat bildhauerische Porträts der angesehensten Persönlichkeiten der englischen Politik und Diplomatie und Gesellschaft gemacht, die Anerkennung gefunden haben. Es ist natürlich schwer, gerade auf dem Gebiete der Kunst heute durchzudringen; aber bis zu einem hohen Grade ist es Miss Maryon gelungen, zur Geltung innerhalb der bildhauerischen Kunst zu kommen.
Das Wesentlichste ihrer Seele war aber nicht irgend ein besonderer Zweig menschlicher Betätigung, und sei es auch der der Kunst, das Wesentlichste ihrer Seelen-Tendenzen, ihrer Seelen-Intentionen war das Streben nach Geistigkeit, das sie eben, wie gesagt, schon in jener esoterischen Gruppe gesucht hatte, in der sie war vor ihrem Zutritt zur anthroposophischen Bewegung. Vorzugsweise diese esoterische Vertiefung war auch das, was sie dann fortdauernd suchte innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft für sich und für das Streben ihrer Seele. Dabei aber war sie durchaus von einer weitgehenden und umfassenden Absicht beseelt, mitzuarbeiten an unserem Werke. Und das ist, was ich hier darstellen möchte, weil ja Edith Maryon eine langjährige und intensive Mitarbeiterin war, und wir diese nun in ihr verloren haben.

Ich möchte darauf hinweisen, wie sie in gewisser Beziehung doch vorbildlich war gerade in der besonderen Art ihrer Hingabe an die Gesellschaft, insofern es sich um Mitarbeiterschaft an der Gesellschaft handelt. Anthroposophie ist heute, meine lieben Freunde, eine nicht nur in der Welt viel angefochtene, sondern auch schwer zu vollbringende Sache, wenn sie ernst genommen wird.
Wird Anthroposophie und anthroposophische Bewegung ernst genommen, dann geht es eigentlich nicht anders, als daß der einzelne das, was er aus diesem oder jenem Gebiete hereinzuarbeiten in der Lage ist, sozusagen am Opfer-Altare des Wirkens der Gesellschaft darbringt. Und so war es bei Miss Maryon Sie hat ihre gesamte Künstlerschaft am Opfer-Altare der anthroposophischen Sache dargebracht. Denn sie war hineingewachsen in eine Art von Bildhauerkunst, wie man sie eben heute gewinnt, wenn man die entsprechende Schule durchmacht, wenn man alles das durchmacht, was dann die Möglichkeit herbeiführt, vor ein für Kunst Interesse habendes Publikum zu treten und so weiter. Das alles - es darf eben gesagt werden, weil es Miss Maryon durchaus verstanden hat - hilft eigentlich gar nichts innerhalb der anthroposophischen Bewegung. Derjenige, der glaubt, daß das etwas hilft innerhalb der anthroposophischen Bewegung, der ist doch auf einem falschen Wege. Man kann in einer gewissen Beziehung in die anthroposophische Bewegung nichts hineintragen, sondern man muß eigentlich zunächst das liegen lassen, was man vorher hat, wenn man aktiv mitarbeiten will. Wer das nicht glaubt, der hat doch nicht eine eindringliche Ansicht davon, inwieweit anthroposophische Bewegung, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen will, wenn sie ihr Ziel erreichen will, sein muß etwas durchaus aus den allerursprünglichsten Quellen der Menschheits-Entwickelung heraus schöpfendes Neues. Und so wie es auf den verschiedensten Gebieten geht, meine lieben Freunde, so ist es auch auf dem Gebiete der Bildhauerkunst gegangen, als es sich darum handelte, diesen uns leider in so schmerzlicher Weise entrissenen Goetheanum-Bau auszuführen.

Edith Maryon hat ja nicht bloß an der Ausarbeitung der Mittelpunkts-Gruppe teilgenommen, sondern an dem mannigfaltigsten Bildhauerischen, das zustandezubringen war für die Aufrichtung des Goetheanums. Dabei handelt es sich gar nicht immer bloß darum, irgend ein Modell für etwas herzustellen, sondern es handelt sich darum, alle die äußerlich nicht eigentlich sichtbaren Arbeiten zu leisten, die schon einmal notwendig sind, wenn eine solche spezielle Kunst sich in das jenige eingliedern soll, was im allgemeinen das Goetheanum wollen muß. Und so ist eigentlich, wenn wir von vornherein voll uns mit dem Bewußtsein durchdringen, daß eben in Miss Maryon ein Mensch in die anthroposophische Bewegung hereingekommen ist, der im eifrigsten, vollsten Sinne das Esoterische gesucht hat, in die Waagschale die Art und Weise zu werfen, wie sich die von dem physischen Plan jetzt Weggegangene wirklich in die Arbeit hineingestellt hat. Das ist, was ich gerade, indem ich Ihre Erinnerung an sie wachrufen will, besonders charakterisieren möchte. Es ist ganz natürlich, meine lieben Freunde, wenn jemand etwas von außen hereinbringt, sei es diese oder jene Kunst. Jedes, was durch äußere Schulung hereingebracht wird, ist eigentlich von vornherein etwas - ich bitte das nur in aller Tiefe aufzufassen -, mit dem ich gewissermaßen nicht einverstanden sein kann, so daß immer das Hereingebrachte eigentlich nicht das ist, mit dem ich einverstanden sein kann. Dennoch ist es zum Gedeihen des Ganzen notwendig, daß der einzelne sein Können bringt. Es ist Ihnen das von vornherein begreiflich, daß der einzelne sein Können bringen muß. Der Bildhauer muß sein Können bringen.

Der Maler muß sein Können bringen und so weiter, und so weiter. Es ist Ihnen das begreiflich, denn sonst hätte ich den ganzen Goetheanum Bau allein aufführen müssen. Also es sind Mitarbeiter für das Goethe anum wirklich im intensivsten Sinne notwendig gewesen, Mitarbeiter, welche das Beste ihres Könnens bringen, aber auch dieses Beste ihres Könnens eben opfern, weil, wenn ich das Äußere der Sache ausdrücke, ich eigentlich mit dem, was hereingebracht wird, niemals einverstanden sein kann.

Das, was ich nun selber von mir aus zu leisten hatte in der Bildhauerkunst, war natürlich etwas wesentlich anderes, als was Miss Maryon hereinbringen konnte. Um was konnte es sich also eigentlich handeln dabei? Es konnte sich nicht darum handeln, etwa so zusammenzuwirken, daß irgend eine Resultante des Zusammenwirkens entstanden wäre, sondern es konnte sich nur darum handeln, daß die Arbeit so geleistet wurde, wie ich es haben mußte, wie sie geleistet werden mußte nach den Intentionen des Goetheanums, die ich zu vertreten hatte.

Sehen Sie, meine lieben Freunde, dabei kommt in Betracht, daß nun ein ganz neues Interesse entsteht: das Interesse an der Arbeit selber. Dazu gehören dann Menschen, welche ohne irgend etwas anderes dieses Interesse an der Arbeit haben, daß die Arbeit als solche zustandekommt.Ob man einverstanden ist miteinander oder nicht, die Arbeit muß zu standekommen, die Arbeit muß möglich sein. Indem ich dieses charakterisiere, charakterisiere ich gerade das, was notwendig für die Arbeit am Goetheanum ist.

Und es brachte Miss Maryon zwei Eigenschaften mit, die, ich möchte sagen, diejenigen sind, die beim wirklichen Arbeiten in der anthroposophischen Bewegung vor allen Dingen notwendig sind, zwei Eigenschaf ten, auf denen eigentlich der Grundstock des Wirkens von Miss Maryon hier am Goetheanum und überhaupt in der Anthroposophischen Gesellschaft beruhte. Das war erstens eine ganz in sich abgeschlossene Zuver lässigkeit. Es gab keine Möglichkeit, daß irgend etwas, was von mir beabsichtigt war, was Miss Maryon hätte ausführen sollen, daß das nicht ausgeführt worden wäre, daß das nicht in vollstem Sinne ernst genom men worden wäre und bis zu dem Punkte gebracht worden wäre, bis zu dem es zu bringen war, der in der Angabe lag. Das ist die eine Eigenschaft, die man braucht - ich meine innerhalb der anthroposophi schen Arbeit -, daß wenn von mir selber etwas angegeben wird, daß es dann bei der Angabe gewissermaßen genügt, daß einfach das Faktum der Angabe dastehen kann und daß dann die Sicherheit vorliegt, daß die Sache ausgeführt wird.
Das Zweite war ein außerordentlich stark ausgeprägter praktischer Sinn. Gerade bei der Gelegenheit des Hinwegganges vom physischen Plane darf das gesagt werden, aus dem Grunde, weil eigentlich dieser praktische Sinn das ist, was wir restlos zurücklassen hier auf Erden, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen, was aber unerläßlich ist, wenn es sich darum handelt, wirklich zu arbeiten. Sehen Sie, es gibt viele Idealisten, die bloße Idealisten ohne praktischen Sinn sind. Und es ist schön, wenn es Idealisten gibt, und der Idealist selber ist schön. Aber der Idealist mit praktischem Sinn ist doch das, was in der Welt notwendig ist. Und die bloßen Idealisten sind angewiesen auf diejenigen Menschen, die einen allseitigen praktischen Sinn entwickeln, wenn diese praktischen Leute nur auf derselben Höhe des Idealismus stehen. Die Verachtung des praktischen Sinnes ist es durchaus nicht, was irgendwie gerade zu einer solchen, vom Geiste durchdrungenen, vom Geiste durchzogenen Arbeit führen kann, wie sie innerhalb der Anthroposo phischen Gesellschaft und Bewegung dringend notwendig ist. Da sind Leute mit praktischem Sinn ganz besonders wertvoll. Da sind Leute wertvoll, die Bildhauer sind, aber auch wirltlich, wenn es nötig ist, an einer Stelle, wo eine besondere Ausgestaltung dazu notwendig ist, einen Lampenschirm machen können, die alles eigentlich, was sie sich vorneh men, in einer gewissen Weise können. Selbstverständlich liegt das immer in gewissen Grenzen. Aber wir brauchen schon Menschen innerhalb der anthroposophischen Bewegung, welche das, was sie wollen, auch wirklich können, denn wollen tun eben viele Menschen, aber das Ge deihen unserer Anthroposophischen Gesellschaft beruht auf denen, die das können, was sie wollen.
Es ist auch hier öfter der Ausspruch von Fichte angeführt worden:
Der Mensch kann, was er soll, und wenn er sagt, ich kann nicht, so will er nicht.
Diese zwei Eigenschaften haben dann Miss Maryon dazu geführt,
wirklich vieles zu tun, was in stiller, ruhiger Art getan worden ist, nachdem sie eigentlich ihre eigene Bildhauerkunst nur noch sporadisch zur Geltung brachte, und ohne das eigentlich die Arbeit der letzten Jahre nicht möglich gewesen wäre.
Dabei hat sie dieses ihr praktisches Interesse und ihren praktischen Sinn auch über anderes ausgedehnt, was eben durchaus unsere Bewegung gefördert hat. Ihren selbstlosen Bemühungen ist es zuzuschreiben, daß der Lehrerkurs hier zustande gekommen ist, der vor einiger Zeit um die Weihnachtszeit herum war, der von englischen Lehrern und Lehre rinnen besucht war. Ihren selbstlosen Bemühungen ist es zuzuschreiben, daß Mrs. Mackenzie sich in der energischesten Weise für die Bewegung namentlich auf pädagogischem Gebiete in englisch sprechenden Ländern so stark eingesetzt hat. Zuletzt geht es auch auf ihre selbstlosen Bemü hungen zurück, daß der Oxforder Kursus hat stattfinden können, der Stratforder Shakespeare-Besuch hat stattfinden können und manches andere gerade in der Vermittelung zwischen der anthroposophischen Zentrale und den englisch sprechenden Gebieten.Dabei war außerordentlich wertvoll, daß sie aber auch wiederum da, wo sie wirkte, nirgends einen starken Widerstand entgegensetzte, wenn es sich darum handelte, eine Intention, die ihr lieb war, ganz abzuändern. So ist zum Beispiel in ihr der Gedanke der Eurythmie-Figuren entstanden, der Gedanke, auch die ersten Versuche, solche Eurythmie-Figuren zu machen. Der Gedanke war ein außerordentlich fruchtbarer. Die Gestalt der Eurythmie-Figuren selber mußte aber ganz abgeändert werden. Miss Maryon hat nie davor zurückgeschreckt, irgend etwas ganz abzuändern den Verhältnissen gemäß, so daß nach dieser Richtung etwa der Widerstand eines Eigensinnes nicht gewirkt hat.

Und so darf ich sagen, meine lieben Freunde, es ist durch die jetzt vom physischen Plan Hinweggegangene viele stille, ruhige Arbeit gelei stet worden, für die die Anthroposophische Gesellschaft wirklich alle Veranlassung hat, innig dankbar zu sein. Ich will nicht einmal so sehr auf die Quantität dabei sehen, gewiß, der Quantität nach leisten sehr viele sehr viel, aber Arbeit der Qualität nach, der Einreihung dieser Arbeit in die anthroposophische Sache nach, ist von der Dahingegange nen sehr viel geleistet worden, das eigentlich unersetzlich ist.

Unersetzlich ist nur dasjenige in der Entwickelung der Menschheit, was eine besondere innere Qualität hat. Gewiß, auch solche Dinge können ersetzt werden, aber dann kommt eben eine gleiche innere Qualität. In der Regel aber werden sie in der Entwickelung nicht ersetzt. Und es muß nun einmal auch mit diesem Karma gerechnet werden, daß gerade diese besondere Qualität Miss Maryons fehlen wird bei der Erbauung des zweiten Goetheanums.
Es sind allerdings die merkwürdigsten Schicksalsverkettungen gerade mit der Errichtung des ersten und zweiten Goetheanums verbunden. Der Keim zu der Erkrankung von Miss Maryon ist gelegt worden während der Brandnacht des Goetheanums. Und von dem, was durch diesen Keim gelegt worden ist während der Brandnacht des Goetheanums, konnte sie wirklich durch die sorgfältigste Pflege nicht geheilt werden. Das sind eben karmische Zusammenhänge. Und gegen diese karmischen Zusammenhänge kann zwar selbstverständlich und muß sehr viel durch die Heilkunst getan werden, aber das Karma wirkt doch eisern, und man muß dann, wenn auch die sorgfältigste Pflege nicht zum Ziele führen konnte, dann erst eigentlich an das Karma denken. Während ein Mensch noch auf dem physischen Plane ist, darf nur daran gedacht werden, wie er geheilt werden kann. Und nach dieser Richtung hin ist wirklich durch die ganz aufopferungsvollen Bemühungen von Frau Dr. Wegman alles geschehen, was nur geschehen konnte. Edith Maryon hat auch an der Seite von Frau Dr. Wegman - ich selbst konnte ja, abgehalten durch andere Verpflichtungen, nicht zugegen sein - den physischen Plan verlassen.
Nun, meine lieben Freunde, ich habe damit auf die besondere Art der Verbindung hingewiesen, welche zwischen der Anthroposophischen Gesellschaft und Edith Maryon bestand. Und ich glaube, daß diese Art der Verbindung dasjenige sein wird, was Miss Maryon unvergeßlich machen wird für die Anthroposophische Gesellschaft. Unvergeßlich wird sie all denjenigen Mitgliedern sein, denen sie in der einen oder in der anderen Weise im Laufe der Zeit hier entgegengetreten ist, und ich darf alles das, was im Speziellen der Dahingegangenen noch nachzurufen ist, dann ihr nachrufen, wenn wir am Dienstag um elf Uhr die Totenfeier im Basler Krematorium haben werden.

Das, was ich heute zu sagen hatte, sollte durchaus darinnen gipfeln, zu zeigen, wie hier ein stilles, aufopferungsvolles Arbeitsleben innerhalb der anthroposophischen Sache gewirkt hat, das unersetzlich ist, und von dem ich gewiß bin, daß diejenigen, die verstehen, was es eigentlich heißt, leitend, wie ich es tun muß, innerhalb der anthroposophischen Bewegung zu wirken, das Gesagte in einem verständnisvollen Sinne aufnehmen werden. Es ist nicht leicht, innerhalb der anthroposophi schen Bewegung verantwortlich zu wirken.
Meine lieben Freunde, betrachten Sie das, was ich an Miss Maryons Tod anschließe, zu gleicher Zeit als etwas, was ich heute ganz im allge meinen zu Ihnen sagen möchte. Diese Leitung, was bedingt sie denn? Diese Leitung bedingt nämlich das folgende, und ich habe insbesondere oftmals seit der Weihnachtstagung auf das ganz Besondere hinweisen müssen, was diese Leitung der anthroposophischen Bewegung bedingt. Sie bedingt, daß dasjenige, was im Zusammenhange mit mir geschieht, ich selber in der Lage bin, hinaufzutragen in die geistige Welt, um nicht nur eine Verantwortung zu erfüllen gegenüber von irgend etwas, was hier auf dem physischen Plane ist, sondern eine Verantwortung, die durchaus hinaufgeht in die geistigen Welten. Und sehen Sie, Sie müssen sich schon, wenn Sie im rechten Sinne mitmachen wollen, namentlich dasjenige mitmachen wollen, was die anthroposophische Bewegung seit der Weihnachtstagung geworden ist, in diesen Gedanken hineinfinden, was es heißt, vor der geistigen Welt die anthroposophische Bewegung zu verantworten.

Ich könnte viel über dieses Thema reden, und ich möchte das eine von dem vielen gerade bei dieser Gelegenheit sagen. Natürlich, bei den Nienschen, die in der anthroposophischen Bewegung sind, kommen mannigfaltige persönliche Dinge zum Ausdruck. Dasjenige, was auf der Erde als Persönliches vertreten wird, das ist, wenn es sich vermischt mit dem, was gerade für die anthroposophische Sache geschehen soll, ein Element, das der geistigen Welt gegenüber, wenn es persönlich bleibt, nicht zu verantworten ist. Und welche Schwierigkeiten erwachsen dem, der irgend eine Sache vor der geistigen Welt verantwortungsvoll zu vertreten hat, wenn er zuweilen mitzubringen hat mit dem, was er zu verantworten hat, das, was aus den persönlichsten Aspirationen der teilnehmenden Menschen kommt!
Was das bewirkt, dessen sollten Sie sich doch ein wenig auch bewußt sein. Es bewirkt die schauderhaftesten Rückschläge von seiten der geistigen Welt heraus, wenn man der geistigen Welt in der folgenden Art gegenüberzutreten hat.
Irgend ein Mensch arbeitet mit in der anthroposophischen Bewegung. Er arbeitet mit; aber er arbeitet in das, was er mitarbeitet, persönliche Ambitionen, persönliche Intentionen, persönliche Qualitäten hinein. Nun hat man dann diese persönlichen Ambitionen, diese persönlichen Tendenzen. Die meisten wissen nicht, daß sie persönlich sind, die mei sten halten das, was sie tun, eben für unpersönlich, weil sie sich selber täuschen über das Persönliche und Unpersönliche. Das ist dann mitzu nehmen. Und das wirkt in den wirklich schaudervollsten Rückschlägen heraus aus der geistigen Welt auf denjenigen, der diese Dinge, die aus den Persönlichkeiten hervorquellen, mit hineinzutragen hat in die geisti ge Welt.
Das sind innere Schwierigkeiten, meine lieben Freunde, die sich gerade für eine solche Bewegung ergeben, wie die der Anthroposophie innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft. Und es muß schon sein, daß darauf aufmerksam gemacht werde. Gewiß, es ist schrecklich, daß wir solch schreckliche Gegner haben, aber diese Gegner müssen halt in irgend einer Weise in der richtigen Art von uns behandelt werden. Aber in bezug auf das Innere, wie Anthroposophie zu vertreten ist, ist es viel schrecklicher, wenn es nötig wird, das, was erarbeitet wird inner halb der anthroposophischen Bewegung, das belastet hinauftragen zu mussen in die geistige Welt, belastet mit persönlichen Interessen des einen oder des anderen. Und es wird wenig eigentlich nachgedacht gerade über dieses Faktum.Das ist es, was ich erwähnen muß, wenn ich gerade die besondere Leistung von Edith Maryon charakterisieren will. Und in dieser Beziehung ist die Anthroposophische Gesellschaft der Hingegangenen zu einem großen Dank verpflichtet, weil sie immer mehr und mehr verstanden hat, ihre Arbeit gerade in diesem Sinne zu leisten. Das sind die Dinge, die ich heute vorbringen wollte und vorbringen sollte aus dem Gedanken heraus, daß ja solche Leistungen, symbolisch gesprochen, wirklich in das goldene Buch der Anthroposophischen Gesellschaft eingetragen sind, und vor allen Dingen in die Herzensbücher der Mitglieder eingetragen werden sollten.
Es ist gewiß auch ganz in Ihrem Sinn, wenn ich das heute und am Dienstag bei der Kremation zu Entwickelnde so auf Ihre Herzen lege, daß ich Sie bitte, Ihre Gedanken hinauf zu richten zu der in geistige Welten Eingetretenen, denn ihre Gedanken werden ganz gewiß beim weiteren Fortgang der anthroposophischen Bewegung sein. Und durch die Art und Weise, wie sie sich in dieselbe hineingestellt hat, werden sie kraftvolle Gedanken sein, und es wird daher auch etwas Kraftvolles darstellen, sich mit ihren Gedanken zu verbinden. Und zum Zeichen dafür, daß das unser Wille ist, werden wir uns von unseren Sitzen zur Ehrung der Dahingegangenen erheben in der sicheren Zuversicht, daß dadurch eine schöne, eine bleibende, eine für die anthroposophische Bewegung kraftvolle Verbindung entstanden ist.Nun, meine lieben Freunde, ich habe das, was ich heute zu Ihnen zu sagen hatte, was in einem gewissen Sinne auch mit dem Karma Gedanken zusammenhängt, denn Leben und Lehre hängen für uns zusammen, schon hineingefügt in die beiden Nachrufe, die ich bewegten Herzens heute zu sprechen hatte. Es wird jetzt meine Aufgabe sein, die Betrachtungen über das Karma weiter fortzusetzen, so daß dasjenige, was wir gewonnen haben durch die Betrachtung einzelner karmischer Zusammenhänge in der Menschenwelt, nunmehr wird seine Anwendung finden können, wenn wir die große Frage stellen werden in unserem eigenen Herzen, in unserem individuellen Sein, wie das, was wir persön lich erleben, was wir sehen als oftmals erdrückende, oftmals erfreuliche Ereignisse in unserer Umgebung, was wir erschüttert sehen, erschüttert mitmachen, wie das zum Karma steht, wenn wir das schicksalsgemäß, karmisch beobachten wollen, wenn wir durch die Beobachtung des Karmas zu einem kraftvollen Wirken in dem Leben kommen wollen. Das wird sich anschließen können an die karmischen Betrachtungen, die wir seit Wochen gepflogen haben und die wir dann morgen in besonderer Anwendung auf den einzelnen individuellen Menschen, das heißt auf das individuelle menschliche Erleben, auf die persönliche Stellung des Menschen zum Karma. in dieser Weise anfangen werden auszugestalten." Zitat Ende




Steiner betont zwar in der Ansprache, dass Nichts, was von woanders mitgebracht wird, für ihn gut sei und dass er deshalb es ganz ablehnen muss. Aber dies ist eindeutig etwas zu übertrieben von ihm dargestellt. Marie Steiner hat z.B: ihre Sprachkunst, die sie in Frankreich sich aneignete, direkt in die Sprachgestaltung einfliessen lassen. Er liess sehr viel von ihr eingeständig machen. Viele andere Mitarbeiter haben ihre wissenschaftliche Grundlage von aussen mitgebracht. Aber die obige strenge Abgrenzung hat mit dem Hintergrund Maryons zu tun. Steiner meint in obiger Ansprach doch ziemlich speziell den Fall Maryons. Steiner war sehr freundlich gegenüber ihr. Aber aus den ganz konkreten Tatsachen geht hervor, dass er zwar Maryon schätzte, aber sich zugleich wegen der bereits in Teil 1 genannten speziellen Neigung von ihr sich abgrenzen musste. Ausserdem war Maryon mit von seiner Geisteswissenschaft sehr fremden Einflüssen geprägt. Nicht gegenüber der Person Maryon, aber wohl gegenüber den fremden Einflüssen, die durch ihre bereits genante Neigung sonst hineinkämen, musste er sich abgrenzen. 



Monika Kasper schrieb uns in Bezug auf dieses Thema ihren Eindruck. Sie beschreibt damit als jemand, der eigentlich kaum von der Beziehung zwischen Steiner und Maryon etwas kennt, was sie unbefangen am Nachruf von Steiner erfahren kann. Weil Monika beruflich als eine Expertin im Bereich der Literatur arbeitet und sie stets die Interpretationen vergleichbarer und unterschiedlicher Literatur als eine Dozentin an der Uni durchnimmt, deshalb  ist ihr unbefangener und gleichzeitig beruflich geschulter Expertinnen-Blick sehr interessant:

«Steiner deutet im Nachruf an, dass sich Edith Marion durch einen aussergewöhnlich starken persönlichen Eigenwillen auszeichnete. Dieser Eigenwille war so stark, dass sie sich sogar in der Kunstszene der damaligen Zeit einen Namen machen konnte, was ja nicht einfach war. Die Bedingung, unter der Edith Marion der Anthroposophie beitreten konnte - man fragt sich übrigens, welcher esoterischen Gruppe sie zuvor angehörte und warum Steiner hier nicht konkreter wird - war die, dass sie diesen Eigenwillen zu hundert Prozent opfern musste. Sie hat es offensichtlich getan, aber doch vielleicht nur so, dass sie das Objekt dieses Eigenwillens gewechselt hat, nicht jedoch den Eigenwillen selbst transformieren konnte. Mit anderen Worten: Sie hat im anthroposophischen Sinn gearbeitet, diese Arbeit jedoch zu sehr als ihr eigenes Werk betrachtet. Der Brand des ersten Goetheanums hat ihr dieses Werk aus den Händen genommen, und was sie selber nicht vermochte, den Eigenwillen zu transformieren, wurde durch die Krankheit in Gang gebracht.»






Das Verhältnis Rudolf Steiners zu Edith Maryon. Teil 1: Sonderbares Verhalten Steiners zu Maryon











Teil 1



Merkwürdigkeit im Verhalten Steiners zu Edith Maryon 

Die Persönlichkeit von Edith Maryon wurde durch einige Publikationen von Frau von Halle in Erinnerung gerufen. Hier in diesem beschränkten Rahmen kann natürlich nicht ihr biographischer Hintergrund behandelt werden. Aber nach meiner Meinung ist ein Studium an GA 263/1 («Rudolf Steiner Edith Maryon Briefwechsel 1912– 1924») sehr ergiebig, um ihre Persönlichkeit tiefer zu beleuchten – zwar an dem Verhältnis zwischen Steiner und ihr, welches im Briefwechsel von den beiden sichtbar wird. Um die spezielle Art des Verhaltens Steiners gegenüber Maryon zu erkennen, sollte man am besten dazu noch als Vergleich am Briefwechsel sowohl zwischen Marie Steiner und ihm in GA 262 («Rudolf Steiner Marie Steiner von Sivers, Briefwechsel und Dokumente 1901– 1925»), als auch zwischen Ita Wegman und ihm («J.E. Zeylmans van Emmichoven, Wer war Ita Wegman Band 2, 1876 – 1925» Natur Verlag) studieren. Am besten kann man auch noch in GA 39 («Rudolf Steiner, Briefe 2, 1890 – 1925») die sonstige Art eines Briefwechsels Steiners als ein weiteres Vergleichsmittel beobachten, wie Steiner sich mit Menschen überhaupt in seinen Briefen verhalten hat.





Steiner spricht Maryon in den Briefen nicht pesönlich an


Man merkt rasch eine Besonderheit in den Briefen Steiners an Edith Maryon, die sonst im Briefverkehr mit einer anderen Person nicht auftaucht: Steiner spricht Maryon in seinen Briefen an sie überhaupt nie persönlich an. Jegliches Du oder Sie ist in den Briefen an sie nicht zu finden. Das ist für den Leser irritierend. Es sind nicht nur drei, vier Briefe, die in jenem GA abgedruckt sind. In der Fülle der Briefe Steiners an Maryon, durch die er die Briefe von ihr an ihn beantwortet, taucht abgesehen der ersten Anrede, "Meine liebe Edith Maryon", weder Du, Dein.. noch Sie, Ihr...u.s.w. auf. Dies ist eine seltsame Tatsache, die man feststellt, wenn man den genannten Vergleich unternimmt. Hier wird ein Brief zitiert: 


«149. Rudolf Steiner an Edith Maryon
Ilkley, Hillside 
12. August 1923.

Meine liebe Edith Maryon!

Heute abend war die zweite «spezielle Adresse», die ich gehalten habe. Sie war ähnlich derjenigen, die ich in Oxford in der Kapelle gesprochen habe. Gestern war der sechste regelmäßige pädagogische Vortrag. Nun folgen noch fünf. Heute waren eine Anzahl von Leh­rern - eigentlich Lehrerinnen - aus dem Kursus als Deputation bei mir; man wollte den Plan einer wirklichen Waldorfschule besprechen. Das Komité, das einstmals für die Umgestaltung der King's Langley Schule geschaffen worden ist, besteht nur noch aus Mrs. Drury-Lavin;

alle andern haben resigniert. Sie halten den Plan, mit Miss Cross etwas zu machen, für hoffnungslos. Diese selbst ist darüber sehr betrübt. Es scheint aber doch, als ob jetzt in einigen eine anerken­nenswerte Energie käme. Die jetzigen Vorträge scheinen doch zum Verständnis manches beizutragen.
Sonst geht es hier wirklich gut. Und ich hoffe, daß dies auch dort der Fall ist und die Gesundheit weiterschreitet. Für die erhaltenen Briefe bin ich dankbar. Ich schreibe nochmals die Adresse für später:
Penmaenmawr Grand Hötel (North Wales).
Bitte sich nicht zu sorgen, daß etwa Schwierigkeiten entstehen könnten wegen der traurigen Nachrichten, die jetzt aus Deutschland eintreffen. Es wird schon sorgfältig wegen der Rückreise gesorgt werden, und daß auch keine Verzögerung eintritt. Also darüber, bitte keine Sorge und ja nicht ängstlich sein. Aber andrerseits ist, was da geschieht, unsagbar betrübend. Leider konnte man das voraussehen; niemand wollte einem glauben.
Allerherzlichste Gedanken
Rudolf Steiner»




Die Abgrenzungsmassnahme Steiners durch die Herstellung der angemessenen Distanz


Die Briefe Steiners an Marie Steiner sehen natürlich anders aus. Manchmal in jeder zweiten Zeile auf dem Brief Steiners an Maire Steiner kommt Du, Dein.., u.s.w. 
In den Briefen Steiners an Ita Wegman kann ein ähnlicher Umgang beobachtet werden. Er spricht Wegman per Du an. In den Brieftexten kommt ab und zu vor, dass sie von ihm mit dem Namen ihrer früheren Inkarnation, Mysa, angesprochen wurde. Mysa war eine treue Schülerin von Kratylos, der ein Lehrer in den ephesischen Logos-Mysterien war. Man kann ausserdem noch kurz den Blick auf die sonstigen Briefen Steiners an die Menschen werfen. 

Ein solch sonderbares Verhalten Steiners an diejenigen, an die ein Brief gerichtet ist, ist in allen anderen Briefen nicht festzustellen. Steiner schien stets auszuweichen, um  nicht von den Kräften, die von Maryon ausgingen, zu sehr vereinnahmt zu werden . Was bedeutet diese sonderbare Verhaltensweise Steiners gegenüber Maryon? Wenn man unbefangen die ganzen Briefen im Briefwechsel zwischen Steiner und Maryon durchliesst und dazu noch die obige Besonderheit mit berücksichtigt, kann man sagen: Es scheint, dass Rudolf Steiner trotz seines freundlichen Grundverhaltens aus einem  bestimmten Grund einen nötigen Abstand zu Maryon bewusst herstellen musste. Aber aus welchenm Grund hat er dies so konsequent durchgezogen? 

Es scheint, dass eine von Maryon erwünschte besondere Nähe, die sie – wahrscheinlich ohne es sich bewusst zu machen – für sich selber deutlich in Anspruch nehmen wollte, Steiner durch eine solche unausgesprochene aber doch eindeutige Distanzierung reguliert hat. Denn dieses konsequente Nicht-Ansprechen von Du oder Sie stellte für ihn eine Abgrenzung dar gegenüber dem, was ihm immer wieder von Maryon entgegenkam. Er musste sich von den intensiven astralischen Kräften, die von ihr ausgingen, schützen. 



«147. Edith Maryon an Rudolf Steinet

Bildhauer Atelier Goetheanum 
Dornach bei Basel. 10.Aug.1923

Sehr verehrter lieber Lehrer,

heute eine große Freude! Zwei Ausschnitte aus der «Yorkshire Post», 6. und 7. August, in der zweiten ein Referat Ihres Vortrages vom Montag, in der anderen etwas über die Rede von Miss Mell[and]. Der erste Vortrag ist wieder von einem anderen Standpunkt aus gesehen; sie werden so interes­sant sein, ich beneide die Zuhörer! Hoffentlich sitzt der Yorkshire-Post-mann fleißig bei jedem Vortrag! Ich sende den Ausschnitt nicht, weil Sie sicher das ganze Blatt haben.

Gräfin Hamilton bekam eine Postkarte, sie hat sie mir geliehen. Solch ein merkwürdiges Ding! Darauf ist eine gräßliche Lokomotive in schwarz, grün und rot angestrichen, und oben die Inschrift «Just arrived in Ilkley». Unten ist ein Schlitz, man macht ihn auf und aus dem Bauch des Monstrums speit er einen langen Streifen Papier aus, worauf 12 kleine Bilder von Ilkley gedruckt sind. Also weiß ich jetzt ein bißchen, was Sie täglich vor Augen haben. Leider mußte ich das Biest [Postkarte] wieder zurückgeben.
Wie ist es jetzt in Ilkley? Heiß wie hier? Und sind die Zimmer und das Essen befriedigend?
Hier pflückt man die Brombeeren von der Hecke, eine Anzahl Leute sind damit beschäftigt und es tönen herüber immer wieder Vokale in allen Tonarten, wenn die starken Brombeerdornen ihre Früchte verteidigen. Sogar hat Erbsmehls Sohn ein Stück von seinem «Hosenboden» auf den Dornen zurückgelassen und dies sieht etwas sonderbar aus.
Freitag war es allzu heiß, noch schlimmer in der Nacht, Samstag morgen ein kleiner Sturm, und dann wurde es etwas kühler, so daß man sich wieder erholen konnte von der Hitze. Heute Sonntag ist es kühler und sehr schön. Keine Nachricht seit dem Brief vom Donnerstag. Frau Finckh war sehr nett und schickte mir zwei Zeitungsausschnitte.
Hoffentlich geht es Ihnen gut? Haben Sie sehr viel zu tun? Bitte, mir zu sagen, wie es geht.
Heute habe ich einen sonderbaren Traum gehabt, ich habe ihn aufge­schrieben, und werde es Ihnen zeigen, wenn Sie wiederkommen.
Mit allerbesten Gedanken und Wünschen
Edith Maryon 
Ist der «Schnee» endlich angekommen?»





«153. Edith Maryon an Rudolf Steinet
Bildhauer Atelier, Goetheanum 
Dornach bei Basel, 17.Aug.1923

Sehr verehrter lieber Lehrer,

es scheint, der kurze Gewittersturm vom Mittwoch hat doch viel Schaden in Basel angerichtet, auch in Arlesheim durch Hagel, hier aber nicht.
Nachricht gibt es heute keine. Über die Rückreise bin ich doch etwas besorgt. Ich bin mit Reiseromantik nicht einverstanden, wenn so etwas bei der Hinreise passiert, ist man unsicher über den Verlauf der Rückreise.
Auch verstehe ich nicht, wie beide Herren so wenig Geistesgegenwart haben, daß beide gemütlich weiterreisen, statt daß wenigstens einer aussteigt im rechten Moment. Bei mir wäre das wohl nicht passiert.
Bis jetzt habe ich von nirgendwo ein Penmaenmawr~Programm erhalten, ob es immer noch keines gibt? Hoffentlich wird die Reise dorthin morgen gut gehen. Sind Sie mit der Ilkley-Konferenz zufrieden? Ich denke, Sie sind jetzt mitten im letzten Vortrag dort.
Sonntag. Gestern war Wind, Sturm, und heute ist der Himmel bewölkt. Abends kam der willkommene Donnerstag-Brief an. Bei einigen Zeitungs­Abschnitten konnte man wohl die Hand von Baronin R[osenkrantz] ver­muten, aber ich hatte gehofft, daß einige unabhängig waren. Desto schlim­mer für Engl. Verständnis, wenn sie es nicht sind. Es kommt mir wirklich wie eine Beleidigung vor, daß Sie immer noch kein Programm erhalten haben, es ist sehr rücksichtslos, wann alles so ohne Höflichkeit und Ord­nung vor sich geht!
So hat man doch eine Londoner Eur[rythmie]-Aufführung durchge­drückt. Frau Dr. Wegman war hier, sie reist Montag ab, bleibt aber zwei Tage in Paris, zwei in London, und trifft etwas verspätet in Penmaenmawr ein. Wir sagen: Wozu ein Zentrum in Dornach, wenn man Immer in der Peripherie arbeitet? Nach dieser allzu langen Zeit kommt dann das ewige Stuttgart, Holland, Wien, Stuttgart, der Norden und was alles noch! Wahr­scheinlich ist als nächstes Amerika an der Reihe.
Trotzdem bin ich doch froh, daß Sie meinen, die erste Eur[rythmie]~ Aufführung sei gut gegangen, aber noch viel mehr, daß etwas Verständnis für die Vorträge vorhanden zu sein scheint. Ich hoffe nur, etwas Praktisches könnte herauswachsen, daß irgendwo in der Welt es ein bißchen schöner sein könnte. Die häßlichen Nachrichten und Töne von überall sind so bedrückend und betrübend.
Ich habe eine Menge Zeitungsabschnitte bekommen, aber ich denke, Sie haben wohl alle dort.
Ich versuche meine alten Papiere durchzuarbeiten, bin aber nicht sehr weit gekommen, ich sehe, ich muß mich mehr aufraffen und schlechte Laune austilgen.
Nun weil ich überhaupt nichts von Penmaenmawr weiß, muß ich wohl das Allerbeste denken, hoffen.
Allerherzlichste Grüße
Edith Maryon»




«155. Edith Maryon an Rudolf Steiner
Bildhauer Atelier, Goetheanum 
Dornach bei Basel, 21.Aug.1923

Sehr verehrter lieber Lehrer,

alles in Penmaenmawr scheint in Nebel verhüllt zu sein, es ist der vierte Tag, aber keine Nachricht ist hierher gelangt. Auch von hier aus ist wohl nichts zu schicken, nichts geschieht, außer, daß heute das Unkraut vom Garten entfernt wird! Eine Anzahl Zeitungen sind angekommen. aber alles hat mit dem 17. aufgehört - die Nachrichten meine ich.
Ich habe «Der Golem» von Meyrink gelesen, und jetzt lese ich «Der weiße Dominikaner». Die Doppelnummer «Anthroposophy» ist auch an­gekommen. Dann versuche ich mich zu vertiefen in meine alten Notizen von 1917-19 usw., ich nähe etwas und führe ein Klosterleben. Das Fenster-brett im Zimmer ist voll Holzwürmer geworden. Liedvogel mußte es entfernen;

jeden Morgen standen haufenweise kleine weiße Holzhügel dort, in der Nacht von den Würmern angehäuft.
Es ist hier schon starkes Herbstgefühl, schöne Sonne, aber das Gefühl von abwelken, absterben ist schon zu bemerken, und morgens ist die Luft frisch und kühl. Sie sehen, welches stille kleine Leben man hier führen muß!
Ich denke oft: Gibt es Vorträge heute oder nicht? Oder gibt es Vorträge den ganzen Tag? Nichts weiß man!
Die Gesundheit geht sehr langsam etwas besser, obwohl der Hustenreiz immer bleibt - leider. Wenn das nur nicht wäre, könnte man schon etwas aktiver sein, aber so ist es vorläufig nicht möglich.
Ich hoffe, die Gesundheit bei Ihnen geht gut? Nicht zu viel Arbeit und Übermüdung?
Allerherzlichste Grüße
Edith Maryon»





Forderungen Maryons an Steiner und ihre Neigung: "Nicht-Richtig-Einschätzen der Position des Ich" in den Beziehungen


In den obigen Stellen kann man ein typisches Verhalten von Maryon feststellen. Maryon zeigt sich darin zum Teil sehr um ihn sorgend. Aber diese Sorgen, die immer wieder stark und fast zwingend auftreten, werden Steiner selber zu viel. Dies wird im Brief von 12. 08. 1923 deutlich. Diese stets überbetonte Sorgen von Maryon haben Steiner zugesetzt. Ein übermässiges Sorgen mochte er nie. Er sagt sogar in einem Brief an Marie von Sivers auch zu ihr liebevoll aber sehr streng und entschieden, dass die zu vielen Sorgen von ihr ihn belasten und unfrei machen. 

Aber das eigentliche und nun zusätzliche Problem bei Maryon lag darin, dass eben Marie Steiner zuerst die engste Partnerin war und später seine Ehefrau wurde, sie, Maryon ist aber eine Mitarbeiterin und sie ist auch keine Ärztin oder Therapeutin für ihn gewesen. Aber die Art, wie sie ihre Sorgen aussprach, war eigentlich die einer engsten Partnerin oder Ehefrau. Dies muss als eindeutig taktlos empfunden werden. Sie verlangt von Steiner wiederholend und eindringlich, er, der derartig von allen möglichen Terminen belastet war, dass er ihr stets vom Ort seiner Dornacherabsenz per Briefe berichte. Und wenn die Briefe nicht sogleich kamen, dann wurde sie ungehalten und drückte die Unzufriedenheit gegenüber Steiner direkt aus. Ihr Anspruch erscheint hemmungslos. Ihr Verhalten kommt mir gegenüber Steiner respektlos vor. Steiner war ja für sie eine von ihr selbst gewählte Autorität. Ich sehe keine angemessene Respekthaltung gegenüber dem Individuum Steiners von ihrer Seite her. Mir fällt auf, dass diese Neigung, die sie anscheinend von Anfang an besass, in der Zeit ihrer Krankheit sich dramatisch gesteigert hat. Die obigen Stellen kommen aus der Zeit ihrer schweren Krankheit. Diese eindeutige Eskalierung der Neigung steht offensichtlich mit dem Fortschreiten der Krankheit in Zusammenhang, an der sie zuletzt gestorben ist. 

Es scheint mir, dass sie durch ihre Konstitution und – zusätzlich im obigen Zeitpunkt durch ihre Krankheit dramatisch gestärkt – die Positionen sowohl von dem eigenen aber auch von dem anderen Ich nicht richtig einschätzen konnte. Wenn dies eintritt, dann kommen allgemein im Willensbereich solche Übergriffe zustande. Ich muss sagen: Die Art, wie Maryon vor allem während der Schlussphase ihres Lebens sich verhalten hat, weist direkt auf diese Problemetik des Nicht-Richtig-Einschätzens der Beziehungen der Iche hin. Sie zeigt in jedem Fall am Schluss ihres Lebens kein gesundes Beziehungsverhalten. Eine solche Problematik verursacht allgemein für die Umgebung eine grosse Schwierigkeit, weil diese Person sich selber stets in den Vordergrund stellt und keine taktvolle Rücksicht auf die anderen Menschen entgegenbringt. Mir scheint, dass es nicht darum geht, dass sie im alltäglichen Sinne "egoistisch" ist. Sondern sie hat wegen ihrer physischen Krankheit eine unnormale Tendenz in Bezug auf das Ich/ den Astralleib entwickelt. Der Astralleib zeigt in ihrem Fall kaum eine richtige Unterstützung vom Ich, das dem Astralleib sonst die Ordnung geben kann, um die eigene Position zu klären und dementsprechend sich in den Beziehungen taktvoll zu verhalten.

Sie starb im gleichen Jahr mit diesen Anzeichen. Ein solches Merkmal kann nicht einfach gänzlich verschwinden, wenn man nach dem Tod die Organisation für das nächste Leben wieder aufbaut. Ein solches karmisch belastetes Merkmal taucht etwas modifiziert im nächsten Leben erneut auf, damit man im neuen Leben wieder demjenigen begegnen kann, an dem man jetzt arbeiten will, denn ein Individuum, das als eine neue Persönlichkeit leben wird, trägt die individuelle Chronik der vergangenen Inkarnationen in sich selber mit. 




Geisteswissenschaftliche Methode der Karmaforschung 
und das durchsichtige Äherdenken im Zusammenhang mit der Wiederkunft Christi

Wenn man am Verlauf des konkreten Karma nicht einfach nur aus dem Gefühl, sondern solid forschen will, um z.B. auch in heutigen Persönlichkeiten eben ehemalige Mitarbeiter Steiners von anderen Menschen zu unterscheiden, ist eine solche Feststellung wichtig, die rein aus der Anschauung und ohne irgendein fertiges und dogmatisches Schema zustande kommt. Dabei helfen weder die auftauchenden Bilder allein, noch allein die Gefühle, noch allein die intellektuell angefertigten Schemen. Wenn sie allein genügen würden, hätte Steiner die ganzen Hinweise auf die karmischen Prinzipien umsonst gegeben.

Eine individuell verdichtete Eigenschaft des Ich kann für uns nach dem physischen Tod unverloren bleiben und taucht wieder in der neuen Inkarnation, wenn auch in etwas modifizierter Art auf. Der Kern der individuellen Prägung kommt in der Tiefe unverändert zum Ausdruck. 

Um diese geistige Eigenschaft des Ich, die den physischen Tode überdauernd an einem Individuum beobachtet wird, klar zu beleuchten, braucht man das neue Ätherdenken, mit dem man lebendig das Wirken der waltenden Weisheit erkennen kann. Durch dieses Ätherdenken wird das im Menschen verinnerlichte geistige Logik-Prinzip bewirkt. Dies wird durch die Auferstehungskräfte des Pantoms am menschlichen Denken bewirkt. Deshalb wird das neue Karma-Denken von Steiner als neue Fähigkeit im Zusammenhang mit der aktuellen und gegenwärtigen Wiederkunft Christi im Ätherischen erwähnt. 





 Teil 2 folgt 

Junko Althaus