Das Allgemein-Menschlich-Menschheitliche
Eine unverkennbare Tendenz unserer Zeit ist es, dass in unterschiedlichen Lebensgebieten die
Auseinandersetzungen zur Eskalation kommen. Dies ist ein schmerzvolles
Erleben für die Menschen, die sich daran schicksalsmässig beteilgen. Ich stelle
aber immer wieder fest, dass gerade manche Auseinandersetzungen kostbare
Momente erzeugen, die einen Charakter – des
‹Allgemein-Menschlich-Menschheitlichen› – zeigen.
Ein
Beispiel: Zwischen Japan und den umliegenden Ländern herrscht durch die
politische Vergangenheit eine Atmosphäre, die nicht ganz von Spannungen frei
ist. Es kommt immer wieder vor, dass durch das schlechte Image der Japaner, das
dort traditionell von Generation zu Generation weitergegeben wird, die Menschen
in China den Japanern z.B. die Unmenschlichkeiten im Internet vorwerfen. Es war
neulich der Fall, dass viele Autos japanischer Marke auf den Strassen in China
angezündet und zerstört wurden. Trotz dieses negativen Bildes sind in China
auch Menschen da, die immer wieder unbefangen das Verhalten einzelner Japaner,
denen sie begegnen, wahrnehmen und ein eigenes Urteil aufgrund der empirischen
Wahrnehmung bilden möchten.
Kurz nach
dem obigen Vorfall mit der Zerstörung von mehreren Autos las ich neben den
traurigen Nachrichten auch entgegengesetzte Stimmen nicht weniger Chinesen, die
den Japanern, die in China leben und sich nach diesem plötzlichen Ereignis ein
wenig in einem Schockzustand befanden, beistehen und sie ermutigen
wollten. Ich habe diesbezüglich einige berührende Eintragungen gelesen.
Eine
Eintragung, die mich persönlich sehr berührt hatte, ist eine kleine
Begebenheit, die ich noch früher einmal gelesen hatte. Vor einigen Jahren
gab es ein Erdbeben in China und eine Gruppe Japaner waren auch vor Ort, um die
Bergungsarbeit zu unterstützen. Dabei hat ein Chinese, der
dort anwesend war, die Arbeit der Japaner beobachtet. Das japanische
Team hat wie viele andere Hilfstrupps eine Leiche unter den Trümmern gefunden.
Diese Japaner haben aber nicht sofort angefangen, sie zu bergen, sondern, sie
stellten sich zuerst still vor sie hin und neigten sich dem Erdenrest des
Verstorbenen gemeinsam zu, um ihr Mitgefühl und ihren Respekt zu zeigen. Erst
dann begann das Team mit der eigentlichen Bergungsarbeit. Der Chinese, der es
beobachtet hat, war berührt davon, dass die Japaner respektvoll mit einem
Verstorbenen seines Volkes umgingen, und appellierte im Internet, dass man von
diesem Umgang der Japaner lernen sollte.
Dies
kann nur ein kleines Beispiel bedeuten, aber an ihm erlebe ich
den jungen Keim einer Brüderlichkeit, die in der Zukunft immer mehr frei von den Belastungen der
Vergangenheit, von den Vorurteilen und dem Unterschied der Kultur, der
Religion, der Völkereigenschaften sich entfalten wird. Der Keim ist noch jung und zart, macht sich aber immer wieder in einer schweren Krisensituation
oder in einer scheinbar ausweglosen Auseinandersetzung wie ein
leuchtender Strahl bemerkbar. An solchen Beispielen stellt man immer wieder
bewusst fest: Der Keim ist zweifellos und tatsächlich in uns vorhanden.
Deshalb gerade ist der Moment sehr kostbar, in dem ein
Allgemein-Menschliches die scheinbar unüberwindbare dichte Mauer der Differenzen im Urteil und den Willensrichtungen auf einmal durchbricht
und – wenn auch vielleicht nur kurz – sich leuchtend an der Seelenoberfläche offenbart. Der
Keim einer neuen Brüderlichkeit wartet auf unsere Aufmerksamkeit und
Pflege.
Offene Herzkraft und klare Gedankenführung
Die Brüderlichkeit, das Allgemein-Menschlich-Menschheitliche
z.B. das in der obigen Art erlebt werden kann, ist der Ausdruck einer innigen und offenen Herzkraft, die an der unmittelbar wahrnehmenden Gegenwart in uns angezündet wird. Sie scheint zugleich auch eine innere seelische Unabhängigkeit zu
sein. Sie macht uns frei von den sinnlich-leiblich-äusseren Merkmalen und
Eigenschaften, die uns als Einzelne voneinander trennen, und lässt uns zum reinen Geistigen kommen, ohne die Vernebelung der berechtigten individuellen Unterschiede.
Die andere Fähigkeit, die mir für die Förderung der
Brüderlichkeit äusserst wichtig scheint, ist noch ein anderes Element, das zur Freiheit gehört: Das saubere und klare Denken. Die klare und disziplinierte
Gedankenführung, die zusammen mit der Herzkraft auftritt, scheint das
soziale Leben klärend zu inspirieren.
Die Auseinandersetzungen, die das Schicksal und das Karma mit sich bringen, können uns immer wieder zur eigenen Grenze führen. Eigentlich wissen wir alle: Es ist etwas Unfreies, einen anderen Menschen willentlich zur Akzeptanz des eigenen Wahrheits-Urteils zu bewegen, ohne dass es im eigenen Denken nachvollzogen werden kann. Denn ohne das Wahrheitsgefühl etwas anzunehmen ist schliesslich keine Erkenntnis. Wenn etwas Erzwingendes eintritt, ist es oft der Fall, dass wir ohne die Gedankengänge bis zum Urteil durch klare Begründungen transparent zu machen, die Richtigkeit des Urteils durchsetzen. In einer solchen Situation sind wir oft auf das Ergebnis- das Urteil – fixiert. Dies bei sich zu bemerken und immer wieder im eigenen Denken sauber und exakt die Gedankengänge zu reflektieren, scheint mir eine echte Kunst zu sein. Die Bewegungen und Verbindungen im eigenen Denken wie von aussen zu beobachten, ist die Schulung, die nicht von heute auf morgen geht. Sie scheint erst in der Liebe zur unsichtbaren Disziplin des Geistes möglich zu werden und ist auf die treue Liebe zur inneren Freiheit gegründet.
Junko
Althaus
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