Die vielen deutschen Anthroposophen, die in der Gesellschaft arbeiten, erzeugen wegen ihrer Mehrzahl eine gewisse Stimmung, die in der Gesellschaft herrscht. Die Stärke der Deutschen finde ich in ihrem Denk- und Vorstellungsvermögen. Sie haben Fähigkeiten, sich intensiv gedanklich mit den Problemen auseinanderzusetzen (Denken). Die Fragen, die sie instinktiv bewegen sind: was ist allgemein richtig? Was ist ein allgemein objektives Urteil?
Und wenn sie eine Idee haben, die für sie als eine richtige Erkenntnis oder ein richtiges Urteil im objektiven Sinne sich herausschält, dann denken sie, dass die Probleme bereits weitgehend gelöst worden sind. Sie wollen die Idee für eine Lösung sofort umsetzten (Wollen), weil sie empfinden, das ist ein Urteil, was nicht nur für sie, sondern ganz allgemein richtig sein muss.
Und diese Tendenz deutet auf die philosophische Qualitäten der Deutschen, das sie in ihrem Vorstellungsleben haben, das einen allgemeinen Charakter hat. Aber gerade durch diese Qualität kann die Einseitigkeit erzeugen, wenn sie bloss unbewusst angewendet wird, dass das Fühlen nicht eingeschaltet wird und zu schnell und automatisch zu dem Wollen übergeht und die individuelle Freiheit im Willensbereich einzelner Menschen übergangen wird. Und das geschieht auch in den anthroposophischen Zusammenhängen. Viele lassen solche Vorgänge zu, weil sie nicht wach genug in dem Moment wahrnehmen können, wie tatsächlich diese drei Seelengebiete sind und wo die Grenzen verwischt werden und die Übergriffe auslösen.
Die Schweizer haben ihre Stärke umgekehrt im Bereich des Wollens. Sie gehen nicht so sehr schnell vom Denken zum Wollen, sondern sie prüfen eine Idee gründlich, ob sie mit ihrem eigenen individuellen Willen zu vereinbaren ist oder nicht. Dabei besitzen sie eine hohe instinktive Wachheit. Die Deutschen sind wach im allgemeinen Denken und die Schweizer im individuellen Wollen. Und deshalb ist es nicht immer einfach, dass sie miteinander sich zurecht finden.
Nicht wenige Deutschen möchten schnell zur Handlung kommen, wenn sie bereits von der Richtigkeit ihrer Gedanken theoretisch überzeugt sind. Sie beginnen oft die anderen Menschen von der Richtigkeit ihrer Idee intensiv zu überzeugen. Manche tun es, damit sie die anderen zu einem gemeinsamen Tun führen, das sie für richtig halten. Dabei werden die Autonomie-Grenzen des freien Wollens verwischt, weil der freie Wille und das persönliche Gefühl kaum geachtet werden.
Das empfinden manche Schweizer oft als zu schnell, denn sie sind wacher in ihrem individuellen Wollen und sie empfinden ein Unbehagen, wenn ihre individuelle Handlung durch eine allgemein objektive Richtigkeit schnell von aussen bestimmt wird. Ich bin eine Japanerin, empfinde aber auch das gleiche Unbehagen, wenn das Fühlen und das Wollen übergangen werden. ich denke, das ist mit ein Grund, wieso die Menschen in Deutschland viel mehr an die Autoritäten und Obrigkeiten glauben, als die Menschen in der Schweiz.
Ich lernte bis jetzt nicht viele Menschen aus Österreich kennen, weil ich nie im Österreich gewohnt habe. Aber ich empfinde, dass sie allgemein deutlich mehr im Fühlen sind als die Deutschen oder die Schweizer im gewissen Sinne ihres Volkscharakters. Durch meine intensive Studie an der Biographie Steiners fand ich trotz seinem männlichen Geschlecht auch ein erstaunlich intensives und sehr sensibel-feines Gefühlsvermögen heraus. Er hat seine seelische Sensibilität nie so richtig von sich aus zum Ausdruck gebracht. Er hat sie eher hinter den anderen Fähigkeiten versteckt. Aber sie war doch im hohen Mass in seiner Persönlichkeit vorhanden. Und das war auch der Grund, wieso Steiner so einen tiefen Leidensweg gehen musste. Er war ein Mensch, der unwahrscheinlich intensive Gefühlskräfte besass, die ihm auch als ein spirituelles Erkenntnisorgan zur Verfügung stand. Es wurde auch von dem gemütshaften Volkscharakter von Österreich sicherlich mit unterstützt.
Trotz der wunderbaren und einzigartigen Qualität des deutschen Volkscharakters des Denkens, finde ich sie etwas zu intensiv und einseitig in der anthroposophischen Gesellschaft vertreten, so dass der Verstand eine Überbetonung zeigt. Von dieser Überbetonung des Verstandesdenkens habe ich schon in den früheren Artikel als Probleme der anthroposophischen Bewegung beschrieben. Viele Menschen, die schlagfertig sind, haben ein Überlegenheitsgefühl. Aber das ist kein Grund, dass sie deshalb in einer anthroposophischen Arbeit oder in einer sozialen Kompetenz begnadet wären. Das Denken ist nur ein Glied von der Dreigliederung der Seele und kann nichts allein vollbringen ohne die harmonische Zusammenarbeit mit dem wachen Fühlen und dem wachen Wollen. Das Verstandesdenken darf nicht das Fühlen und das Wollen überwältigen und beherrschen.
In Deutschland sah ich die Menschen, die oft ihren freien Willen aufgeben müssen, weil sie nicht rasch denken und nicht schnell ihre Urteile äussern können, weil sie nicht nur im Denken sondern viel mehr auch im Fühlen und im Wollen sind. Sie fühlen sich sogar oft minderwertig, weil die anderen schneller sind. Auch wenn die aufdringlichen Menschen das zum Verstehen geben, es ist eine ungesunde Annahme, dass sie deshalb minderwertig wären.
Aus der Annahme so eines Urteils unterordnen sie sich weitgehend den anderen, die aufdringlich sind und sich selbstverständlich durchsetzten. So entsteht mehr oder weniger immer eine geheime oder offensichtliche hierarchische Hack-Ordnung in vielen Menschenkreisen. Genau diese Machtordnung macht das soziale Leben krank. Dieser Krankheitsprozess ist auch unter den Anthroposophen fortgeschritten. Ich finde genau darin einen klaren und schweren Grund zum realen Misstand der gesamten anthroposophischen Bewegung. Ich sehe diese Tendenz überall in den anthroposophischen Zusammenhängen.
Es ist eine oberflächliche Annahme, dass die Menschen, die schneller denken, besser und fähig wären. Das gilt nur im Verstand, aber nicht als gesamter Mensch. Solche fragwürdige Annahme muss durch wache Wahrnehmung entgegengearbeitet werden, wenn man ein wirklich spirituelles und soziales Miteinander in der Bewegung und in der Gesellschaft erzeugen will.
Manche Anthroposophen sind obrigkeitsgläubig und sind gehorsam gegenüber den Persönlichkeiten mit Status oder Titel in der Gesellschaft. Das ist eine Gewohnheit, die das gesamte soziale Leben krank macht, denn durch sie es zugelassen wird, dass die Menschen mit einem Stellungsbewusstsein sich zum Teil die Dinge erlauben, die in den Gebieten, die zum freien Wollen des anderen Menschen gehören, selbstverständlich eingreifen ohne jegliches Bedenken, weil sie denken: Wir sind die besseren oder kompetenteren Menschen, die mehr das Recht in den Entscheidungen haben.
Es ist ein Verlust für die anthroposophische Gesellschaft, dass die schweizerischen Elemente, welche die Wachheit im individuellen Wollen vertreten, z. B. von den deutschen Anthroposophen noch wenig bewusst in die allgemeine anthroposophische Arbeit integriert wird, vielleicht weil die Schweizer oft etwas langsamer in der Urteilsbildung sind. Aber das ermöglicht eine Verarbeitung der Sache in einem viel tieferen Bereich als im Verstand.
Wenn die einzigartige Wachheit im individuellen Wollen der Schweizer viel mehr respektiert und anerkannt wird, werden die persönlichen Bewunderungen im Sinne des Autoritätsglaubens, die de Selbstständigkeit der Menschen verhindern, weniger in der anthroposophischen Bewegung sein. Ich wünsche, dass die Schweizer Anthroposophen ihre eigentlichen Qualitäten viel stärker und bewusster vertreten in einer echten Gleichwertigkeit wie viele deutschen Anthroposophen mit ihrem Denkvermögen selbstverständlich tun und bis jetzt getan haben.
Die anthroposophische Gesellschaft ist eine Weltgesellschaft, so wie in der Generalversammlung in Dornach gesprochen wurde. Sie heisst auch die Allgemeine AG. Aber das Goetheanum steht in der Schweiz, ganz real auf schweizerischem Boden. Ohne den Volkscharakter der Schweiz bewusst in die Arbeit mit einzubeziehen, kann die AAG sich nicht entfalten. In Japan sagt man, wie wichtig das ist, wenn man in einem fremden Ort etwas machen oder einrichten will, dass man dann ein Respektgefühl den Göttern des Ortes entgegen bringen muss, die den realen Charakter des Ortes bestimmen. Und durch das respektvolle und liebevolle Miteinbeziehen der geistigen Kräfte des Ortes, kann die Arbeit, die man machen will, enorm befruchtet werden, denn man kann aus den Substanzen des Ortes schöpfen. Und die Götter erlauben es zu tun. Falls man aber diese Kräfte des Ortes, die auch in der ätherischen Volksmentalität sich real ausdrücken, übergeht , dann wird die Arbeit von den Göttern des Ortes nicht mehr gesegnet. Das hat die Folge, dass man zuletzt viele Probleme und Schwierigkeiten bekommt, weil die Götter des Ortes den Respekt vermissen.
Der freie Willensimpuls, der in der Schweiz in hohem Mass vorhanden ist und der sogar auch in ihrer politischen Form der direkten Demokratie wieder zu finden ist, ist wenig in der AAG zu finden. Viele Schweizer haben das Gefühl: Wir bestimmen direkt die Politik mit. Für sie ist eine Politik ohne den direkten Beitrag ihres eigenen Willens überhaupt nicht denkbar. Ich finde noch wenig diese Art des Respekts vor dem freien individuellen Willen der Mitglieder in der AAG. Ich empfinde, dass die Art der Zusammenarbeit und der Konstitution der AAG und des Goetheanums steht nicht sehr harmonisch zu der eigentlichen Qualität der Schweiz, in der das Goetheanum real steht.
zum Teil umgeschrieben am 1. Juli
Junko Althaus
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