Judith von Halle schrieb in ihrem Buch "Krise und Chance", dass die Verwirklichung des geistigen Impulses der Michaelschule darin besteht, dass man die alten Mysterinweisheiten auf der Erde neu ergreift. Dabei ist es wichtig, dass sie von dem Christusimpuls durchdrungen wird.
Judith von Halle stellte ohne Begründung mit nur ganz wenigen Worten fest, was diese Durchdringung des Christusimpulses der alten Mysterienweisheiten bedeutet: Schlicht und einfach bewusst die Mysterien zu ergreifen.
Ihre Annahme kann die nicht leichten Folgen haben, denn gerade diese Arbeit ist nach meiner Erkenntnis viel viel mehr als bloßes Bewusst-Ergreifen der alten Weisheit. Diese Aufgabe ist eine gewaltige, die viel Fantasie und Intuition benötigt. Der Christus-Impuls ist so ein universaler Impuls, den man nicht leicht fassen kann.
Vor allem wird für so eine Arbeit nach meiner Erkenntnis eine ganz entscheidende Fähigkeit vorausgesetzt: Eine Fähigkeit des Loslassen-Könnens. Der Mensch braucht den Mut und das Vertrauen, sich von etwas zu befreien und trennen, etwas, was Gegenwart und Zukunft nicht mehr tragen kann.
Die alte Weisheit im Christusimpuls zu erneuern bedeutet, ein Absterben der Weisheit in der alten, konkreten und starr gewordenen Form.
Erst dann folgt ihr Auferstehen in einer dem gegenwärtigen Zeitimpuls des Christus entsprechenden neuen Form.
Neu-Erschaffen der unserem gegenwärtigen Zeitgeist geeigneten Form bedeutet kein bloßes bewusstes Übernehmen, sondern eine gründliche Erneuerung. Dazu braucht man eine echte Wahrnehmung an dem gegenwärtigen Entwicklungsimpuls und außerdem eine kraftvolle und gesunde Fantasiefähigkeit, die frei von der alten sinnlich-irdischen Form eine ganz neue Form hervorbringen vermag (Moralische Fantasie).
Das Alte, was einmal in einer früheren Zeit gut war, kann nicht mehr gut sein, wenn es später genauso auftritt und sich zur Geltung bringt. Die Evolution aller Arten besteht gerade darin, was einmal in einer früheren Epoche vorhanden war, kehrt zwar in bestimmten rhythmischen Abständen wieder zurück, aber nicht um einfach sich wieder zu beleben, sondern um sich auf neue Weise zu metamorphosieren und zu erneuern. Ohne diese gründliche Metamorphose gibt es gar keine echte Entwicklung.
Zunächst taucht das Alte unmittelbar wieder auf. Aber das ist nur die bloße Wiederholung im karmischen Sinne.
Das muss noch in eine neue Form durch die schöpferlische Tätigkeit des Ich umgewandelt werden, damit das Wesentliche, das in der alten Form lebte, auf eine aktuelle Weise ein neues gesundes Leben entfalten kann. Wenn das nicht geschehen würde, gäbe es nur die äußre Konservierungen des Alten, und daran würde die Evolution scheitern.
In den alten Mysterien wurden die kostbaren Weisheiten gelehrt. Aber die Weisheit an sich hängt mit der alten Mondenentwicklung - der früheren Verkörperungszustand unserer Erde - zusammen. Die Substanz aber, die während unserer jetzigen Erdenentwicklung neu entstehen soll, ist nicht die Weisheit, sondern die Liebe. Und diese universelle Liebe ist die Urqualität des Christus, die er durch das Mysterium von Golgatha auf der Erde zum ersten Mal ermöglichte. Diese kraftvolle Liebessubstanz will der ätherische Christus in unserer Seele immer mehr erwecken. Und sie soll unsere schöpferische Erkenntnis-Tätigkeit und fantasievolle Arbeit unterstützen und eine echte Moralsubstanz der menschlichen Seele im Herz erwecken, so dass wir die alten Weisheiten erneuern und verwandeln können.
Eine alte Weisheit, die ohne aktive Bemühung um die Durchdringung mit der Liebe bloß sich ausleben will, wird sich heute und in der Zukunft immer mehr zu einem zwanghaften Schattendasein zurückbilden, so dass sie eine tote Konservierung der ehemaligen Großartigkeit bedeutet.
Junko Althaus
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