R. S. "Das ist etwas, was man sich notwendig erwerben muß: aus sich herausgehen zu können, sozusagen mit den Augen eines andern, von einem anderen Standpunkte aus sehen zu können. Dann erst ergibt sich das, was wirklich zur umfassenden Wahrheit führt. Das ist so, wie wenn man einen Rosenstrauch nicht nur von einer Seite ansieht, sondern sich einmal hierhin, einmal woanders hinstellt und ihn von allen Seiten ansieht oder photographisch aufnimmt. Dadurch schult man sich, um in die Möglichkeit zu kommen, dasjenige auch wirklich zu haben, was man haben muß, sobald man in die höheren Welten hinaufkommt. In der physischen Welt kann man sich so etwas angewöhnen. In den höheren Welten wirkt es verwirrend, wenn man mit einem persönlichen Standpunkt hineinkommt. Man hat dann sofort ein Trugbild statt der Wahrheit vor sich, weil man seine eigene persönliche Meinung hineinträgt."
Das "Geistig-Spazierengehen um einem Erkenntnisgegenstand herum" ist der Zustand, der mehr oder weniger immer in mir vorliegt, wenn ich etwas wirklich erkennen will. Ich erlebe dabei von Innen her, dass mein Kopf rund ist und dass ich von diesem kosmischen Himmels-Kugel profitiere, um den Erkenntnis-Gegenstand von vielen Seiten geistig zu sehen und dadurch die breiten Zusammenhänge zu erkennen. Aber so wie Steiner weiter ausführt, das allein führt noch nicht zum Herzdenken. (J.A.)
R. S. "Um zum Denken des Herzens zu kommen, müssen wir die Kraft haben, aus uns herauszugehen, wirklich uns selber ganz fremd zu werden und von außen auf uns zurückzublicken. Wer im normalen Bewußtsein ist, der steht an einem bestimmten Platz und weiß, wenn er sagt: Das bin ich! -, dann meint er die Summe dessen, was er glaubt, was er vertritt. Wer aber in die höheren Welten hinaufsteigt, muß seine gewöhnliche Persönlichkeit an ihrem Platze stehenlassen können, er muß aus sich selber herausgehen können, auf sich zurückschauen und mit demselben Gefühl zu sich selber sagen können: Das bist du! - Das frühere Ich muß ganz im richtigen Sinne ein Du werden. So wie man zu einem anderen «du» sagt, so muß man zu sich selber «du» sagen können. Das darf keine Theorie sein, sondern muß ein Erlebnis werden. Daß dies durch Schulung zu erreichen ist, haben wir schon gesehen. Es gehört gar nicht so viel dazu, man muß verhältnismäßig einfache Dinge tun; dann erwirbt man sich das Recht, mit dem Herzen denken zu dürfen. Die wahren Darstellungen von den höheren Welten gehen aus solchem Herzdenken hervor. Auch wenn es äußerlich oft so aussieht, als ob sie logische Erörterungen wären, nichts ist in den Darstellungen, die wirklich aus den höheren Welten heruntergetragen werden, darin, was nicht mit dem Herzen gedacht wäre. Was da geschildert wird vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft, ist ein mit dem Herzen Erlebtes. Derjenige, der schildern muß, was er mit dem Herzen erlebt, der muß es allerdings umgießen in solche Gedankenformen, daß es für die anderen Menschen verständlich ist.
Das ist der Unterschied von wirklicher Geisteswissenschaft und demjenigen, was subjektiv erlebte Mystik ist. Subjektiv erlebte Mystik kann ein jeder für sich haben; die schließt sich innerhalb der Persönlichkeit ab, die läßt sich nicht einem andern mitteilen, geht einen andern im Grund genommen auch nichts an. Dasjenige aber, was echte, wahre Mystik ist, ist entstanden aus der Möglichkeit, Imaginationen zu haben, Eindrücke in den höheren Welten zu haben und diese Eindrücke klassifizieren, ordnen zu können mit dem Denken des Herzens, so wie man die Dinge der physischen Welt mit dem Verstand ordnet.
Damit ist allerdings das andere verknüpft, daß an den Wahrheiten, die aus den höheren Welten gegeben sind, in der Tat etwas hängt wie Herzblut, daß sie die Färbung haben von dem Denken des Herzens. Mögen sie sich abstrakt ausnehmen und noch so sehr in Gedankenformen gegossen sein, es hängt an ihnen Herzblut, denn sie sind unmittelbar aus der Seele erlebt. Von dem Momente an, wo das Denken des Herzens ausgebildet ist, weiß der Mensch, der in die imaginative Welt kommt: Das, was du vor dir hast und was aussieht wie eine Vision, ist keine Vision, sondern ist Ausdruck eines Geistig-Seelischen, das dahintersteht, ebenso wie die rote Farbe der Rose hier der äußere Ausdruck ist für die materielle Rose. Der geistig Schauende richtet das geistige Auge in die imaginative Welt, er hat den Eindruck des Blauen oder Violetten, oder er hört irgendeinen Ton, oder er hat ein Gefühl von Wärme oder Kälte -, er weiß durch sein Denken des Herzens, daß das nicht bloße Einbildung, nicht bloße Vision ist, sondern Ausdruck eines geistig-seelischen Wesens, wie das Rot der Rose der Ausdruck der materiellen Rose ist. - So lebt man sich in die Wesenheiten hinein; man muß aus sich herausgehen und sich mit den Wesenheiten selber verbinden. Daher ist alles Forschen in der geistigen Welt zu gleicher Zeit mit der Hingabe der eigenen Persönlichkeit verknüpft, in einem viel höheren Grad, als das bei den äußeren Erlebnissen der Fall ist. Man wird intensiver mitgenommen, man steckt ja in den Dingen selber drinnen. Was sie Gutes und Böses, Schönes und Häßliches, Wahres und Falsches haben, muß man in den Wesenheiten erleben. Wo andere Menschen in der physischen Welt einen Irrtum gleichgültig ansehen, muß der Geistesforscher in der imaginativen Welt den Irrtum nicht nur anschauen, er muß ihn mit Schmerz durchleben. Er muß das Häßliche, das Abscheuliche nicht nur anschauen, ob es ihm nichts tut, sondern er muß es innerlich miterleben. Durch die geschilderte Schulung, die der heutigen Menschheit besonders angemessen ist, kommt er dazu, das Gute, das Wahre, das Schöne, aber auch das Böse, das Häßliche, den Irrtum mitzuerleben, ohne davon gefangengenommen zu werden oder sich zu verlieren, denn das durch richtige Vorbereitung erworbene Denken des Herzens führt dazu, daß er durch das unmittelbare Gefühl unterscheiden kann." (Lit.: GA 119, S 231ff)
Dieses unmittelbares Erleben - man ist in der Sache intensiv darinnen ohne sich darin zu verlieren - das ist der Zustand meiner Herzerkenntnis. Ich kann dazu ein sehr einfaches Beispiel geben, das auf eine ähnliche Weise stets vorkommt. Jemand erzählte mir von den Zeiten aus seiner Kindheit in einer biographischen Sitzung. Und er sagte ungefähr so über sich selber zu mir: Ich war ein Kind, das gar keinen Wert hatte, hat so hässlich ausgesehen, dass ich heute noch denke, es hätte einfach verschwinden sollen. In diesem Moment erlebte ich wie einen starken Stich im Herz, so dass ich sagen musste, dass ich schlimme Schmerzen im Herz habe, so dass es gar nicht zu ertragen ist. Ich fragte, ob er auch in seinem Herz etwas spüre, wenn er so an seine Kindheit denkt. Und dann sagte er: ja, wenn Sie es so sagen, ich kann es ein wenig empfinden. Und dann forschte ich weiter mit ihm daran, wieso er ein solches Urteil behält, das sein Herz (unbewusst) immer weiter peinigen muss.
Die Wahrnehmung und die Erkenntnis im Herzen ist sehr unmittelbar. Die Empfindungen, die Schmerzen, welche die anderen Menschen nicht selber merken, erlebe ich an meinem Herz unmittelbar. So wie Steiner schildert sind sie sehr stark und intensiv. Es ist einfach da. Nur so wie R. Steiner sagt, man muss es irgendwie immer mit den Worten für die anderen Menschen verständlich machen. Das ist anstrengend und braucht enorm viel Kreativität. Dafür muss man wieder das Denken, das ich vorhin beschrieben habe und Steiner beschreibt, voll aktivieren, damit ich es zu einer logischen Erkenntnis, die der andere Mensch versteht, verwandeln kann. Das muss ich immer selber tun. Und das ist wirklich nicht leicht, so wie er hier spricht. (J.A.)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Im Moment können keine weiteren Kommentare mehr entgegengenommen werden. Die nötige Zeit um sie durchzulesen und sie sorgfältig zu beantworten, sind zurzeit nicht vorhanden.
Wenn Sie mir etwas mitteilen möchten, können Sie mich per Mail kontaktieren.
Meine neue Mail-Adresse finden Sie auf der rechten Seite oben.
Junko Althaus
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.